Produktivität
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Die vier Prinzipien der Slow Productivity

Endlich mal so richtig entspannt und in Ruhe an eine Aufgabe oder ein Projekt rangehen, der bzw. dem man sich schon lange widmen wollte. Für wen wäre das kein idealer Arbeitszustand? Jedoch wie so oft unterscheiden sich Wunsch und Wirklichkeit. Cal Newport hat in seinem jüngsten Buch Slow Productivity genau diesen Unterschied herausgearbeitet und drei Prinzipien zur Reduktion desselben dafür beschrieben. Aber es gibt auch ein viertes Prinzip, auf das man beim Lesen immer wieder aufmerksam wird.

Hast du es eilig, gehe langsam

Diese Abwandlung des japanischen Sprichworts Wenn du es eilig hast, mache einen Umweg geht auf Lothar J. Seiwert zurück, der seine Zeitmanagementstrategien in seinem 2005 erschienen Buch darauf aufsetzt. Insofern ist eine gewisse Langsamkeit in einer hektischen Arbeitsumgebung nichts Neues. Und es klingt fast ein wenig paradox, dass man sich unter Zeitdruck bewusst mehr Zeit nehmen sollte. Doch das menschliche Gehirn ist deutlich leistungsfähiger, wenn man ruhig und konzentriert vorgeht, anstatt in operative Hektik zu verfallen. Zudem lassen sich auf diese Art und Weise deutlich bessere Ergebnisse erzielen.

Auf dieser Grundlage und inspiriert von der ursprünglich aus Italien stammenden Slow Food-Bewegung entwickelt Cal Newport seine Slow Productivity-Philosophie. Dabei handelt es sich um einen alternativen Ansatz, der insbesondere die Wissensarbeit von Hektik befreien und nachhaltiger, sinnvoller, sowie menschlicher ausrichten soll.

Das Taylor-Syndrom

Gleich zu Beginn des Buches räumt der Autor mit einer weit verbreiteten Auffassung von Arbeit – speziell von Wissensarbeit – auf, die seiner Meinung nach auf Pseudoproduktivität beruht. Denn all jene, die in den Büros Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts in der Arbeitswelt sozialisiert wurden, haben gelernt, dass eines der sichtbaren Merkmale scheinbar produktiver Arbeit die bloße Anwesenheit am Arbeitsplatz bzw. im Büro ist. Und darüber hinaus, dass man umso wichtiger für das Unternehmen ist, je mehr geschäftige Aktivität man dort sichtbar zur Schau stellt.

Newport macht den Grund für diese fehlgeleitete Ansicht an einem Beispiel aus der Industrie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fest, in dem er beschreibt: Viele Menschen spielten lieber in einem Büro mit Klimaanlage Emsigkeit vor, als den ganzen Tag in einer überhitzten Fabrik Metallblech zu stanzen. Und was er dann so plastisch als Pseudoproduktivität bezeichnet, also der Einsatz sichtbarer Aktivität als primäres Mittel für Produktivität, wurzelt in den arbeitswissenschaftlichen Untersuchungen von Frederick Winslow Taylor und der daraus abgeleiteten, hauptsächlich effizienzbasierten Produktivitätsauffassung, dass nämlich mehr Arbeit zu besseren Ergebnissen führt, als weniger und dass Vorgesetzte dafür sorgen müssen, dass genug gearbeitet wird.

Moderne Technologien versetzen Wissensarbeiter zudem in die Lage, noch effizienter sein zu wollen und mehr Arbeit zu übernehmen, als man zu bewältigen, in der Lage ist. Im Kontext mit einer daraus resultierenden Unzufriedenheit am eigenen Arbeitsplatz macht Newport das Spannungsfeld des Taylor-Syndroms in einem Satz eindrucksvoll greifbar: Ich glaube, das ist der Punkt, an dem der Burn-out richtig wehtut – wenn einem etwas am Herzen liegt, man aber nicht in der Lage ist, es zu tun beziehungsweise es gut zu tun und ihm seine Leidenschaft und volle Aufmerksamkeit und Kreativität zu widmen, weil gleichzeitig so viel anderes von einem erwartet wird.

Die ersten drei Prinzipien

Genau bei diesem Spannungsfeld setzt die Slow Productivity-Philosophie an. Sie versteht sich als eine humanere und nachhaltigere Methode für ein ausgewogenes Leben, in das die Arbeit als Quelle der Sinnhaftigkeit statt der Überforderung einsortiert wird und nicht umgekehrt, damit man so bessere, befriedigendere und werthaltige Ergebnisse erzielen kann und die eigene Gesundheit dabei nicht aufs Spiel setzt. Dazu erklärt Newport drei Prinzipien, mit denen sich Slow Productivity umsetzen lässt:

Prinzip 1: Weniger tun

Anstelle sich der nach wie vor aktuellen Auffassung von Aktivität bedingungslos zu verpflichten, um so scheinbar mehr Chancen auf Erfolg zu schaffen, reduziert man die eigenen Verpflichtungen auf ein Niveau, das man leicht erfüllen kann und im Idealfall darüber hinaus noch Zeit übrig bleibt. Dies lässt sich beispielsweise durch das Annehmen von weniger Projekten bewerkstelligen, oder durch das Eliminieren sogenannter Produktivitätstermiten – das sind in großer Menge auftretende, kleine Aufgaben, die mehr oder weniger die gesamte zur Verfügung stehende Zeit beanspruchen und so alles andere, das man sich vorgenommen hat, oder gerne machen möchte, nicht mehr zulassen. In diesem Zusammenhang sind Aufgabenlisten ein zweischneidiges Schwert, denn dort sammeln sich oft solche Produktivitätstermiten und können immensen Schaden an der eigenen Produktivität anrichten. Daher empfiehlt Cal Newport, derart überfüllte Aufgabenlisten zumindest einmal pro Woche radikal auszumisten, um so redundante Projekte und stagnierende Aufgaben zu löschen. Sein einfacher und gleichermaßen wirksamer Tipp zur Umsetzung des ersten Prinzips lautet daher (wenig überraschend): Arbeiten Sie an höchstens einem Projekt pro Tag. Denn nur so gelingt es, im dennoch oftmals anspruchsvollen Arbeitsalltag zum Herrn der eigenen Zeit zu werden, ein Zustand, den bereits Benjamin Franklin als überaus wichtig erachtet hat.

Prinzip 2: Mit natürlicher Geschwindigkeit arbeiten

Das Motto des zweiten Prinzips könnte auch Eile mit Weile lauten, denn es geht darum, die eigene Angst zu überwinden, die einen oftmals antreibt, mit noch höherer Geschwindigkeit durch den Alltag zu hasten. Stattdessen sollte man sich einen Zeitplan zurechtlegen, der mit variierender Arbeitsintensität, sowie einer natürlicheren, langsameren und abwechslungsreicheren Arbeitsgeschwindigkeit sowohl die eigene Umgebung, als auch saisonale Besonderheiten berücksichtigt und einer unablässigen Dringlichkeit eine entschiedene Absage erteilt. Nach Newports Ansicht ist das die Grundlage echter Produktivität auf lange Sicht. Darin liegt auch die zentrale These der Slow Productivity, dass nämlich durch das stetige Erzielen auch kleiner Ergebnisse schlussendlich große Erfolge und Fortschritte verwirklicht werden können. Damit das gelingt, ist eine konkrete Empfehlung in diesem Kapitel, zum einen nicht mehr als die Hälfte des Arbeitstages für Besprechungen aufzuwenden und zum anderen regelmäßig für komplett terminfreie Tage zu sorgen, indem man beispielsweise montags keine Termine vereinbart und die so geschaffene Ruhebastion für fokussiertes Arbeiten nutzt. Zudem sollte man darauf achten, dass der Raum, in dem man arbeitet – also das direkte Arbeitsumfeld – im Einklang mit dem ist, was man erreichen möchte. Das bedeutet, dass man sich eine Arbeitsumgebung schafft, die einerseits motiviert und andererseits fokussiertes Arbeiten ermöglicht. Das betrifft sowohl die physische Ausstattung des Arbeitsumfelds, als auch die eigenen Arbeitsrituale und Routinen.

Prinzip 3: Qualität an oberste Stelle setzen

Arbeiten unter Zeitdruck und mit hoher Geschwindigkeit führt häufiger zu Fehlern und in weiterer Folge auch zu schlechterer Qualität. Das gilt insbesondere für die Wissensarbeit. Daher ist es wenig verwunderlich, dass man langsamer arbeiten sollte, damit man sich auf die Qualität, auf das besser werden überhaupt erst fokussieren kann. Es geht also darum, sich auch selbst genügend Zeit zu geben, um etwas zu schaffen, aber nicht unbegrenzt lange. Denn schließlich ist es nicht immer notwendig, ein Meisterwerk zu kreieren. Worauf es ankommt, ist Qualität und nicht Perfektion. Newport ist übrigens auch der Meinung, dass die Investition in die eigenen Arbeitsmittel dafür ein guter Ausgangspunkt ist und hochwertiges Werkzeug die Qualität der Arbeit verbessern kann.

Das vierte Prinzip: Beständig dranbleiben

Erst am Ende des Buches im Fazit erwähnt Cal Newport an einem konkreten Beispiel, dass es notwendig ist, jeden Tag an den Projekten und Aufgaben zu arbeiten, die einem wichtig sind und die man voranbringen möchte. Zwischendurch blitzt bei den einzelnen Prinzipien zwar immer wieder auf, dass es durchaus darauf ankommt, stetig dranzubleiben. Speziell dann, wenn man versucht langsam und qualitätsbewusst zu arbeiten. Allerdings hätte diese Beständigkeit, dieses stetige Dranbleiben meiner Meinung nach ein eigenes, viertes Prinzip im Slow Productivity-Ansatz werden sollen. Denn das beständige Dranbleiben ist ein wesentliches Element und Voraussetzung für das Gelingen der ersten drei Prinzipien und wie oben erwähnt, eine der zentralen Thesen der Slow Productivity-Philosophie. Beständigkeit nämlich darin, weniger zu tun, dafür aber jeden Tag. Oder Beständigkeit darin, mit natürlicher Geschwindigkeit zu arbeiten und sich immer wieder selbst darauf zu besinnen, wenn’s mal hektisch wird. Und schließlich Beständigkeit darin, auf die Qualität zu achten, ohne Perfektion anzustreben. Diese Beständigkeit erfordert Disziplin und benötigt einen gewissen Rhythmus für die eigene, persönliche Produktivität.

Fazit

Man könnte also die Kernaussage des Slow Productivity-Ansatzes mit den Worten slow but steady – also langsam aber stetig – zusammenfassen. Und es spricht tatsächlich vieles für eine Temporeduktion, eine gewisse Langsamkeit im Leben. Schließlich kommt es nicht darauf an, wie schnell man ein Ziel erreicht, oder wen bzw. wie viele man unterwegs dorthin mit hektischer Betriebsamkeit beeindruckt, sondern wo man am Ende steht. Dabei gilt es auch sich selbst zu überwinden, denn es ist durchaus eine Herausforderung, gerade an stressigen Tagen nicht in hektischen Aktionismus zu verfallen. Aber auch hierfür gilt, was Cal Newport in einem Satz so schön zusammengefasst hat: Was zählt, ist Fortschritt. Nicht Perfektion.

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