Das Buch von Bob Doto hat mich überrascht. Zum einen hatte ich es gar nicht auf meinem Radar und insofern war es eine Sommerüberraschung, auf die ich rechtzeitig zu den Sommerferien aufmerksam geworden bin. Zum anderen habe ich beim Lesen viele Parallelen zu meiner Interpretation eines PKM-Systems und meiner Arbeitsweise mit Obsidian entdeckt.
Der Ansatz, den Bob Doto für sein Schreibsystem gewählt hat und in seinem Buch vorstellt, ist (wenig überraschend) eine Art Zettelkasten. Mehr oder weniger ganz im Sinne von Niklas Luhmann. Also eher klassisch aufgebaut und sowohl digital als auch analog – also in Papierform mit Karteikärtchen – umsetzbar. Mir persönlich erschließt sich zwar die analoge Variante nicht ganz, denn es kommt mir mehr als nur umständlich vor, alleine schon ein Stichwortverzeichnis manuell pflegen zu müssen. Von den händisch erstellten Verlinkungen über mehr oder weniger komplizierte Nummerierungssysteme mal ganz abgesehen.
Klassischer Zettelkasten
Didaktisch nähert sich Bob Doto seinem System ausgehend vom Erfassen von Gedanken und Ideen in Form von kurzen Notizen über das Erstellen von sogenannten Hauptnotizen, das Verknüpfen bzw. Verlinken von Notizen über alphanumerische Identifikationscodes bis hin zu konkreten Tipps rund um das leserorientierte Schreiben, sowie das Schreibprojektmanagement. In Summe lehnt sich der Autor, wie bereits erwähnt, dabei eng an den Luhmann’schen Zettelkasten an. In mancherlei Hinsicht erinnert Doto’s Buch auch an das Zettelkastenprinzip von Sönke Ahrens, ist allerdings dann doch wieder konkreter auf das Schreiben ausgerichtet.
Von Schnellnotizen zur Hauptnotiz
Der erste Schritt ist das Festhalten von Gedanken, Ideen, Fundstücken aus dem Netz bzw. anderen Recherchequellen, oder ersten Textskizzen. Dazu schlägt Bob Doto die sogenannten Fleeting Notes vor. Das sind im Wesentlichen Schnellnotizen, die meist temporär in einer Inbox gespeichert und nach einer gewissen Routine in regelmäßigen Abständen durchgesehen und weiter verarbeitet werden. Entweder wird aus einer oder auch mehreren Fleeting Notes dann eine Sleeping Note, eine Reference Note oder eine Main Note.
Meine Fleeting Notes bzw. Schnellnotizen erfasse ich primär im Logbuch, das ich in Form von täglichen Notizen in Obsidian führe. Dort werden Ideen, Erkenntnisse, Gedanken oder Notizen dann auch gleich mit entsprechenden Schlagworten versehen. Über gespeicherte Suchabfragen können sie dann jederzeit aufgerufen und ggf. weiter verarbeitet werden.
Sleeping Note klingt süß, aber mir ist deren Nutzen nicht ganz klar. Doto versteht darunter Schnellnotizen, die (noch) nicht weiter verarbeitet und daher in einem eigenen Ordner archiviert werden. Diesen Ordner nennt er trefflich Sleeping. Die Herangehensweise finde ich nicht sehr effektiv und denke, dass es geschickter ist, solche Notizen, die nicht weiter verarbeitet werden können, nochmals eine Zeit lang als Schnellnotiz aufzubewahren und dann zu löschen, wenn sie nicht mehr benötigt werden. Denn die Gefahr, sie zu vergessen und somit auf ewig schlafen zu lassen, ist zu groß.
Eine Reference Note oder Referenznotiz ist eine Notiz zu einer externen Quelle, wie beispielsweise einem Buch, einer Podcast-Episode oder einem Fachartikel. Die ursprüngliche Idee der Referenznotizen stammt von Niklas Luhmann, der nicht in seine Bücher schreiben oder dort Markierungen anbringen wollte. Er schrieb stattdessen seine Ideen, Kommentare und Gedanken während dem Lesen in Referenznotizen und gab dort jeweils die Seitenzahl im Buch an, wo die kommentierte Stelle zu finden war. Auch die bibliografischen Informationen zum Buch oder Artikel erfasste Luhmann auf den Referenznotizen, üblicherweise auf der Rückseite der Karte. Ich habe diese Technik auch übernommen, erstelle meine Referenznotizen zu einem Buch oder Artikel meist gesammelt in einer einzigen Notiz zur jeweiligen Literaturquelle. Wenn möglich, verweise ich auf die Stelle im Buch, Text, etc. Falls es bereits eine Idee oder andere Notiz dazu gibt, verlinke ich direkt dorthin. Themen werden unter Umständen mit Schlagworten ergänzt.
Main Notes bzw. Hauptnotizen beinhalten nach Dotos Beschreibung stets eine Idee und einen Link zu einer anderen Hauptnotiz im Zettelkasten. Ich gehe davon aus, dass es gerne auch mehrere Links zu mehreren Ideen bzw. anderen Hauptnotizen sein dürfen. Weiters beinhaltet jede Hauptnotiz einen Titel, ein Zitat samt Quellenangabe, den eigentlichen Text der Notiz zur neuen Idee und eine einmalige Nummer. Letztere ist in digitalen Zettelkästen nicht notwendig. Der Titel der Hauptnotiz sollte eine Zusammenfassung des Inhalts bzw. ein Statement daraus sein.
In der Regel werden Hauptnotizen aus Schnellnotizen erstellt, oder besser gesagt diese zu ebensolchen um- bzw. ausgebaut. Das Verlinken zu bestehenden Notizen und die Reduktion auf eine einzige Idee je Hauptnotiz sehe ich nicht ganz so dogmatische. Es kann durchaus vorkommen, dass in einer Hauptnotiz auch mehrere Ideen zu einem Thema beschrieben werden. Die Schritte beim Erstellen einer neuen Hauptnotiz sind eigentlich immer dieselben:
- Text schreiben oder aus einer Schnellnotiz in die neue Hauptnotiz übernehmen,
- Link(s) zu anderen Notizen erstellen bzw. einfügen (dabei sind auch Links zu Referenznotizen zulässig),
- sprechenden Titel und Dateinamen festlegen,
- Notiz verschlagworten und
- Notiz im geeigneten Ordner ablegen.
Das Nummerieren der neuen Hauptnotizen ist in Obsidian eigentlich nicht notwendig, kann aber dennoch gemacht werden, falls gewünscht. Übrigens müssen Hauptnotizen nicht perfekt ausformuliert sein, denn es dürfen auch später noch Ergänzungen eingetragen und Links hinzugefügt werden, sobald sich neue Ideen oder neue Erkenntnisse ergeben. Wichtig erscheint mir zudem der Hinweis, dass Notizen insbesondere im digitalen Zettelkasten durchaus gelöscht werden dürfen, wenn man der Meinung ist, dass die Informationen nicht mehr benötigt werden.
Verbindungen schaffen
Niklas Luhmann behauptet in seinem Essay Kommunikation mit Zettelkästen, dass jede Notiz qualitativ nur so wertvoll ist, wie das Netz ihrer Verzweigungen und Verweisungen bzw. Rückverweise. Eine Notizsammlung bzw. ein PKM-System wird also erst dann richtig nützlich, wenn man Verbindungen zwischen den darin befindlichen Notizen erschafft. Mit Obsidian kann man diese Verbindungen zwischen Notizen sogar direkt anzeigen lassen, wenn man in den Einstellungen unter den Obsidian-Erweiterungen bei Rückverweis ebendiese in den Notizen aktiviert. Jedenfalls werden die Verlinkungen in Obsidian auch in der Graphen-Ansicht visualisiert und können zudem in der Seitenleiste angezeigt werden. Im manuellen Zettelkasten muss man das natürlich alles händisch eintragen.
Aber wie kommt man zu den Links bzw. wie erinnert man sich an die Ideen und Notizen, die man vor einiger Zeit angelegt hat und die man nun verlinken sollte? Doto meint, dass man automatisch an bereits bestehende Notizen denkt, wenn man eine neue anlegt. Und es stimmt tatsächlich, denn ich habe das selbst beobachten können. Es kommen einem beim Anlegen neuer Notizen mitunter bereits vorhandene, zu einem früheren Zeitpunkt angelegte Notizen wieder in den Sinn. Ein spannender Effekt, den man dahingehend nutzen sollte, dass man diese Notizen dann stets miteinander verlinkt und auch einen Eintrag über den Grund bzw. den Sinn der Verlinkung in der jeweiligen Notiz erstellt. Der Eintrag über den Grund der Verlinkung ist insbesondere für die Verbindung zwischen zwei Notizen sinnvoll, deren Verbindung nicht unbedingt direkt auf der Hand liegt und die einem bloß so flüchtig in den Sinn kommt. Jedenfalls sollte man diesen Link dennoch erstellen und den Grund dafür kurz notieren. Man wird erst später entdecken, was sich daraus ergibt. Denn Links zu anderen Notizen, die man kommentiert hat – also zumindest für sich selbst – haben mehr Bestand und sind wertvoller, als jene, die unkommentiert verlinkt sind. Generell rät Doto dazu, beim Anlegen von Links immer auch daran zu denken, was man davon in der Zukunft benötigen wird. Eine Zukunftsfrage ist jedenfalls der Einsatz von künstlicher Intelligenz im digitalen PKM-System bzw. Zettelkasten und ob es damit möglich wird, neue Verbindungen zu finden und daraus dann Ideen zu entwickeln.
Auf die Länge kommt es an
Was die inhaltliche Länge der Notizen betrifft, scheiden sich die Geister. Die einen – und zu denen gehört auch Bob Doto – sind der Meinung, dass kleine, kurze Notizen – sogenannte Atomic Notes – mehrere Verbindungen zu anderen Notizen mittels Links erlauben, als lange und daher zu bevorzugen sind. Diese Meinung teile ich nicht, denn auch zu einzelnen Abschnitten bzw. Überschriften in langen Notizen lässt sich vorzüglich verlinken und so müssen an sich zusammenhängende Texte nicht künstlich auseinander dividiert werden. Sogar innerhalb einer Notiz kann man zu einzelnen Abschnitten in derselben Notiz verlinken. Und apropos Atomic Notes: Selbst in der Natur sind nicht alle Atome klein bzw. leicht. Es gibt auch große und schwere Atome.
Die Frage, ob jede Idee tatsächlich eine neue bzw. eigene Notiz sein sollte, oder ob man auch mehrere zum selben Thema in einer Notiz zusammenfassen kann, beantwortet Doto ganz undogmatisch. Er erklärt dazu nämlich, dass man einfach weiterschreiben sollte, falls man beim Erfassen einer Idee in einer Notiz gleich in den Schreibmodus kommt. Und alle Ideen, die es nicht in die neu geschriebene Notiz geschafft haben, erfasst man dann noch in eigenen Notizen und verlinkt sie entsprechend. Notizen zu Hintergrundinformationen, Recherchen, Literaturquellen, etc. sollen natürlich auch weiterhin in eigenen Notizen im Zettelkasten verbleiben.
Struktur vs. Anarchie
Hinsichtlich der Struktur seiner Notizsammlung hat sich Luhmann gegen eine thematische Spezialisierung und für eine komplett offene, thematisch nicht begrenzte Form entschieden, die es ihm ermöglicht hat, zufällige und ad hoc generierte Informationen aus seinem Zettelkasten zu erhalten. Und geht es nach Bob Doto, dann braucht ein Zettelkasten keine hierarchische Baumstruktur. Er ist vielmehr heterarchisch organisiert. Allerdings steht das meiner Meinung nach nicht im Widerspruch zu einer thematischen Struktur. Die schlägt Doto dann übrigens auch indirekt mit sogenannten Structure Notes vor. Eine Structure Note ist eine Notiz mit Links zu anderen Notizen über ein bestimmtes Themengebiet. Die Links können in der Structure Note in ihrer Reihenfolge beliebig angeordnet und auch kommentiert werden, um mehr Kontext zu geben und um so die Zusammenhänge besser erkennbar zu machen und die Orientierung zu erleichtern. Schließlich sind Structure Notes in Doto’s Herangehensweise eine wesentliche Grundlage für das Schreiben.
Und auch ein Keyword Index bzw. Stichwortindex ist ein strukturgebendes Element im Zettelkasten. Beim Erstellen des Stichwortindex werden zu bestimmten Begriffen die Links zu jenen Notizen eingefügt, in denen es um den jeweiligen Begriff geht. Spannend ist der Ansatz von Doto, dass Stichworte nicht nur Begriffe sein können, sondern auch Erfahrungen oder Gefühle. Luhmann nutzte übrigens seinen Stichwortindex nicht sehr intensiv (ca. 3.000 Einträge für insgesamt über 60.000 Notizen), deshalb bedurfte es auch etwas Glück, um darüber fündig zu werden. Allerdings verwendete er ihn gerne, um durch seine Ideen im Zettelkasten zu wandern.
Schreibprojektmanagement
Im abschließenden Kapitel des Buches beschreibt Doto den Weg von der Notiz zum fertigen Buch oder Aufsatz. Er bezeichnet das trefflich mit Schreibprojektmanagement, das nach seiner Auffassung flexibel und davon abhängig ist, was bzw. worüber man schreibt – also von der Komplexität des Projekts bestimmt wird.
Jedes Schreibprojekt wird in Doto’s Herangehensweise von zwei Dokumenten unterstützt: dem Tage- bzw. Logbuch und einem Kreativlog. Für das Tage- bzw. Logbuch empfiehlt Doto die Methode des Interstitial Journaling von Tony Stubblebine. Dabei handelt es sich um eine Tagebuch-Technik bei der man sich notiert, was man abgeschlossen hat und was man dabei gedacht hat, sowie woran man gerade arbeitet und was man dabei denkt. Es wird auch festgehalten, wann man mit einer Schreibsession fertig geworden ist und ob man am nächsten Tag daran weiterarbeiten wird. Die Crative Logs bzw. Kreativlogs beinhalten hingegen inhaltliche Einträge über beispielsweise woran man zuletzt in einem Textdokument gearbeitet hat, welche Bereiche als nächstes bearbeitet werden sollen bzw. noch Aufmerksamkeit benötigen.
Fazit
Schreiben ist lernen ist eine der Kernaussagen im Buch von Bob Doto über sein Schreibsystem. Aber auch beim Lesen lernt man und das Schreiben über das Gelesene fördert dann das Verstehen und Vertiefen der Inhalte. Doto’s Buch ist mit knapp zweihundert digitalen Seiten Lesestoff nicht allzu umfangreich. Dennoch schafft es der Autor eine Systematik für das Schreiben von Aufsätzen über Kurzgeschichten bis hin zu Buchprojekten kurz und knackig vorzustellen. Ob diese Systematik für jede und jeden gleich gut geeignet ist, muss man selbst bewerten. Für mich ist ein analoges System schon deshalb ausgeschlossen, weil es viel zu ineffizient ist und nicht in meine rein digitale Arbeitsweise passt. Dennoch konnte ich aus der Lektüre dieses Buches so manche interessante Idee gewinnen und den einen oder anderen Blickwinkel erweitern respektive schärfen.
Und ein wenig zu kurz kommt in dem Buch von Bob Doto das Einbinden externer Quellen, wie Bücher, PDF-Dateien, Artikel aus dem Internet, etc. Zwar wird darauf schon eingangen und auch die Methodik mit den Reference Notes beschrieben. Aber die digitalen Möglichkeiten werden überhaupt nicht erwähnt. Hier gibt es nämlich ganz großartige Werkzeuge, wie beispielsweise Hookmark, mit denen man aus einer Notiz heraus direkt auf Textstellen in einem eBook oder einer PDF-Datei verlinken kann.
Bei der Lektüre ist mir auch bewusst geworden, dass ein reiner Zettelkasten für das Schreiben vielleicht sogar zu wenig sein kann. Insbesondere im Kontext mit dem Schreibprojektmanagement ist der umfassendere Ansatz eines PKM-Systems meiner Meinung nach besser geeignet. Aber die Systematik für das Schreiben bleibt letztendlich jeder und jedem selbst überlassen. Es nämlich schon so, wie Bob Doto schreibt, dass man zuerst wissen muss, worüber man schreiben möchte und danach richtet sich dann die Art und Weise, wie man sich Notizen macht. Man muss also zuerst Autor werden, bevor man sich Notizen machen kann.