Die persönliche Zeiteinteilung des austroamerikanischen Mathematikers Kurt Gödel war von der stoischen Philosophie inspiriert. Gödel entwickelte ein strukturiertes Modell mit Tages-, Wochen- und Jahresplänen, das ihm Ordnung, Stabilität und geistige Klarheit verschaffen sollte. Moderne Methoden, wie das Multi-Scale Planning bauen auf diesem Modell auf, das sich mit Obsidian auch wunderbar digital umsetzen lässt.
Kurt Gödel war ein österreichischer Mathematiker und Philosoph im 20. Jahrhundert. Er emigrierte in den 1940er Jahren in die USA und lehrt an der Universität in Princeton. Dort lernte er Albert Einstein kennen und es entwickelte sich eine enge Freundschaft zwischen den beiden Wissenschaftern. Gödel beschäftigte sich unter anderem intensiv mit den 23 mathematischen Problemen von David Hilbert und leistete mit seinen Arbeiten an der Kontinuumshypothese und seinen Unvollständigkeitssätzen wertvolle Beiträge zur Zahlentheorie, Komplexitätstheorie, Relativitätstheorie und zur theoretischen mathematischen Logik, sowie zur Beweisbarkeitslogik.
Darüber hinaus hat sich Gödel auch mit Philosophie beschäftigt. Er war Mitglied des Wiener Kreises, der einen logischen Empirismus vertrat, beschäftigte sich aber dennoch mit Metaphysik und Theologie. Er verfasste dazu mehrere Notizbücher, die nach seinem Tod gesammelt und in mehreren Bänden veröffentlicht wurden. Für den Bereich der persönlichen Produktivität ist davon der zweite Band besonders interessant, in dem Gödel über die Zeiteinteilung schreibt.
Philosophie & Zeiteinteilung
Denn Kurt Gödel hat sich im Rahmen seiner philosophischen Studien auch mit der stoischen Lehre von Seneca, Epiktet und Marc Aurel auseinandergesetzt und diese Lehre in seine Zeiteinteilung als Grundlage für eine ethische Lebensführung umgesetzt.
Für ein glückliches und gelingendes Leben sind nach der Stoa Selbstreflexion und Selbstvervollkommnung, sowie lebenslanges Üben, Lernen und eine planende Lebensgestaltung erforderlich. Dabei hat Gödel die Stoiker nicht im Detail studiert, sondern ihre tradierten Vorbilder zur Selbstreflexion und Selbstvervollkommnung angewendet.
Anstelle einer Zeiterfassung, die rein vergangenheitsorientiert und wenig praktisch für die zukünftige Planung ist, entwickelt Gödel Pläne für die Einteilung der zur Verfügung stehenden Zeit. Diese Zeiteinteilung ist für ihn ein Versuch, dem Glück sowie dem Sinn des Lebens nahezukommen. Von der Zeiteinteilung verspricht sich Gödel eine Basis für die Selbstreflexion, die seinem Leben als eine Art therapeutischem Effekt Stabilität, Ordnung und Sicherheit, sowie innere Ruhe und Gelassenheit für die Arbeit und private Angelegenheiten geben soll.
Strukturmodell
Gödels Zeiteinteilung erfolgt für jeden Tag einzeln, für jede Woche genau, für mehrere Monate ungefähr und für das nächste Jahr nach den obersten Zielen, die es zu erreichen gilt. Seine Strategie baute also darauf auf, dass er jede Woche im Voraus plante. Darauf abgestimmt legte er genaue Zeitpläne für jeden Tag, ebenfalls im Voraus am Vortag an. Dazu gehörte auch, dass er sich täglich ungefähr eine Stunde für seine Planung Zeit nahm, sowie um darüber zu reflektieren, wie gut seine Zeiteinteilung funktioniert hat.
Die eigene Lebensweise berücksichtigte Gödel in seiner Zeiteinteilung insofern, als er einen genauen Tagesplan vom Frühstück bis zum Abendessen anlegte, der ihm den notwendigen zeitlichen Rahmen für seine Arbeit gab. Zerstreuung und Abwechslung der Tätigkeiten waren für ihn Bestandteil der geistigen Hygiene. Deshalb berücksichtigte er in seiner Zeiteinteilung auch beispielsweise Zeiten für Bewegung, Sommerfrische, Zerstreuung und Ruhe. Letztere auch während der Arbeit.
Seine Selbsterkenntnis, dass er langsam arbeiten musste, weil seine Gedanken oft abschweiften und sich schon mit den nächsten Themen beschäftigen wollten, hat er in seiner Zeiteinteilung ebenfalls berücksichtigt, sodass er seine geistige Arbeit mit seiner natürlichen Langsamkeit erledigen konnte und zwar ohne zwischen verschiedenen Tätigkeiten hin und her wechseln zu müssen.
Umsetzung in Obsidian
Gödels Vorgehensweise bei der Zeiteinteilung entspricht großteils dem, was Cal Newport seit Jahren als Multi-Scale Planning propagiert. Ich bevorzuge eher einen einfacheren, simplen Planungsansatz, den ich in Obsidian in Form von täglichen Notizen mit der Bullet Journaling Methode in Kombination mit einer zentralen Aufgabenliste umgesetzt habe.
Das ermöglicht mir eine ausreichend flexible Tagesplanung. Auch Gödel hat eine zu strikte Planung abgelehnt. Sein generelles Prinzip war, besser weniger zu planen, als vielmehr Vorhaben einfach auszuführen. Eine Art agiler Ansatz also. Denn die perfekte Tagesplanung gibt es nicht. Struktur, Methode und Werkzeug sind von den individuellen Anforderungen und Vorlieben abhängig und müssen auch den jeweiligen Produktivitätsrhythmus berücksichtigen. Dabei gilt es zudem zu beachten, dass eine zu detaillierte Tagesplanung beispielsweise mit genauen Zeitblöcken unflexibel macht und meiner Meinung nach rasch sinn- und nutzlos wird.
Fazit
Für Gödel war es jedenfalls sinnvoll, vorab einen Plan für den (Arbeits)Tag zusammenzustellen. Es gab ihm einerseits die Möglichkeit, nach seinem eigenen Produktivitätsrhythmus arbeiten zu können und andererseits die notwendige Sicherheit, nichts zu vergessen und seine Vorhaben und Ziele auch tatsächlich umzusetzen. Ein wenig mag das auch an die Tagesplanung von Benjamin Franklin erinnern. Und tatsächlich finden sich sowohl Franklins, als auch Gödels Überlegungen und Praktiken zur Planung und Zeiteinteilung in einigen aktuellen Büchern in unterschiedlicher Ausprägung wieder, wie beispielsweise in Slow Productivity von Cal Newport oder 4000 Wochen von Oliver Burkeman.