Projektmanagement
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9. Grazer BBW-Symposium – eine Retrospektive

Es war ein frischer Frühlingsmorgen an diesem 15. April 2011 in Graz. Und genauso erfrischend und launig war die von Prof. Heck vorgetragene Eröffnung des 9. Grazer Baubetriebs- und Bauwirtschaftssymposium an der TU Graz. Es ging an diesem Freitag um Bauablaufstörungen, deren baubetriebliche, bauwirtschaftliche und rechtliche Aspekte. Dass dieses Thema in der Baubranche auf reges Interesse stößt war deutlich zu sehen, denn gut 260 Zuhörerinnen und Zuhörer waren der Einladung des Instituts für Baubetrieb + Bauwirtschaft, Projektentwicklung + Projektmanagement der TU Graz gefolgt. 
Im ersten Vortragsblock wurde über die „Sicht der Auftraggeber“ referiert. Den Beginn machte Prof. Hans Lechner (TU Graz) mit seinem Vortrag über die Möglichkeiten zur Vermeidung von Bauablaufstörungen. Insbesondere die Planung spielt dabei eine immens wichtige Rolle, denn „Leistungsstörungen haben eine wesentliche Grundlage in einer nicht ausreichend vertieften, nicht fertigungsorientierten Ausführungsplanung mit unzureichender Schnittstellenklärung der Fachplanungsbeiträge, aber auch Schnittstellenklärung der Gewerkepakte„, so Prof. Lechner. Auch mangelhafte und unvollständige Ausschreibungen oder zu wenig Entscheidungskompetenz bei den Projektleitern sind weitere Gründe für Bauablaufstörungen. Prof. Lechner riet am Ende seines Vortrages zum „Einsatz qualifizierter Managementsysteme“ und schlug eine „proaktive Abarbeitung“ anstelle einer rein „reaktiven Verbesserung der Abwehr der Folgen von Leistungsstörungen“ vor.
Der zweite Vortrag der Herren Frühwirth und Pils (beide ASFINAG) beleuchtete ausgehend von der Sphärenzuteilung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer die Hauptgründe für Bauablaufstörungen. Interessant waren die Tips für Auftraggeber und Auftragnehmer zur Ermöglichung eines störungsfreien Bauablaufes vor und nach der Auftragserteilung – also in der vorvertraglichen Phase (= Beschaffungsvorgang von Bauleistungen) und der „Exekutionsphase“ des Bauvertrages.
Der letzte Vortrag in diesem ersten Block stammte aus der Feder von Mag. Weingrill (BIG), der aber selber verhindert war und so sprang Prof. Lechner ein und verlas den Beitrag zum Thema „Prüf- und Warnpflicht des Bieters/Auftragnehmers im Spannungsfeld zwischen Nachtragsforderungen auf Grund behaupteter Bauablaufstörungen und Erkennbarkeiten derselben aus den Ausschreibungsunterlagen„. Der verlesene Text war eher langatmig, wie der Titel schon vermuten lässt – was aber nicht am Vorlesenden gelegen hat.

Der zweite Block war dem Themenbereich „State of the art“ gewidmet. Es ging dabei primär um den Einfluss von Produktivitätsverlusten auf Bauablaufstörungen bzw. wie sich aus Produktivitätsverlusten Bauablaufstörungen entwickeln. In gewohnt wissenschaftlich fundierter Art trug Prof. Hofstadler (TU Graz) aktuelle Untersuchungsergebnisse als Grundlagen zum Nachweis von Produktivitätsverlusten am Beispiel der Stahlbetonarbeiten vor. Hr. Schlagbauer (TU Graz) ging in seinem Vortrag auf Zusammenhänge von Leistungskurven und Arbeitsbelastungen auf der Baustelle aus einem mitunter sehr arbeitsmedizinischen Blickwinkel ein. Der diesen überaus interessanten Vormittag abschließende Vortrag von Prof. Gralla (TU Dortmund) und Dr. Sundermeier (Goldbeck GmbH) wirkte in diesem zweiten Block eher wie ein Fremdkörper. Die beiden Herren stellten ein Modell zur projektbegleitenden Bewältigung von Bauablaufstörungen mit Hilfe eines aus dem angloamerikanischen Sprachraum entlehnten Adjudikationsverfahrens vor, das für mich eher wie die Präsentation eines nicht mehr ganz so neuen Geschäftsfeldes wirkte und dabei keinen wirklich (neuen bzw.) verbesserten Nutzen erkennen ließ.

Der Nachmittag begann mit der „Sicht der Auftragnehmer“ auf den Themenbereich Bauablaufstörungen. Zugegeben, es ist für jeden Vortragenden eine Herausforderung, das Auditorium nach der Mittagspause bei Laune zu halten und die volle Aufmerksamkeit zu bekommen. Deshalb wurde von den Referenten tief in die Trickkiste der Vortragstechniken gegriffen, um z.B. durch mehrmaliges Klingeln eines Mobiltelefons in der Hosentasche eines Vortragenden das Auditorium zum Lachen zu bringen und selbiges dadurch erfolgreich am mittäglichen Verdauungsnickerchen zu hindern.
Hr. Rummer (PORR AG) präsentierte Beispiele aus seiner operativen Erfahrung bei der bauwirtschaftlichen Abwicklung von Bauablaufstörungen anhand von drei Fallbeispielen und kam zu dem Schluss, dass nicht immer alle Umstände und Einflüsse auf der Baustelle exakt messbar und somit der Höhe nach bewertbar sind. „Ohne die Kompetenzen zur Einschätzung/Bewertung einer Angemessenheit von Störungseinflüssen und deren Auswirkungen wird kaum eine rasche Lösung (Anm. bei Bauablaufstörungen) zu erzielen sein„, so Rummer.
Auf den Unterschied zwischen Bau-Soll und Bau-Ist ging Dr. Goger (Swietelsky Baugesellschaft m.b.H.) im Detail in seinem Vortrag über die sachgerechte Ermittlung von Mehrkosten aus Bauablaufstörungen ein. An einem unübertrefflichen Beispiel für einen gestörten Bauablauf (Vortriebe für ein Wasserschloss eines Pumpspeicherkraftwerkes) wurden die verschiedenen Ergebnisse von Privatgutachten gegenübergestellt. Die eingangs gestellte Frage „SOLL oder IST, das ist hier die Frage!“ blieb mit dem Wunsch von Goger nach einer zwischen den „österreichischen Bauwirtschaftsinstitutionen möglichst abgestimmten Empfehlung“ aber eigentlich offen.
Dr. Bitzinger (Bauunternehmung Rudolf Gerstl KG) stellte in ihrem Vortrag zum Thema „Wer schreibt, der bleibt! – Dokumentation des Bauablaufes im Hochau“ ein auf Microsoft Excel® basierendes tabellarisches Werkzeug zur Dokumentation von bauablaufbestimmenden Entscheidungen vor. Mit Hilfe dieser Listen ist es bei entsprechend konsequenter Befüllung durch den jeweiligen Bauleiter möglich, quasi auf Knopfdruck eine Dokumentation als Beilage für eine Mehrkostenforderung zu produzieren. Prof. Lechner bezeichnete diese Listen in der anschließenden Diskussion als „Folterwerkzeuge“ der Auftragnehmer.

Der letzte Vortragsblock „Rechtliche Aspekte“ war für die Juristen reserviert. Einzige Ausnahme bildete Prof. Heck (TU Graz), der gemeinsam mit Prof. Schubert ein überaus intensives Referat zum Thema „Die bauwirtschaftlichen Anforderungen an den adäquat-kausalen Verzögerungsnachweis“ hielt, in dem auch auf die baubetriebliche Vorgehensweise bei der Berechnung von Mehrkosten aus Bauablaufstörungen eingegangen wurde. Die beiden widmeten auch ihren gleichnamigen Beitrag im Tagungsband dem erst kürzlich verstorbenen Prof. Vygen.
Den Abschluss bildeten die Vorträge von Prof. Aicher (Universität Wien) zum Thema „Das ABGB und Bauablaufstörungen“ und Dr. Lessiak (Rechtsanwaltskanzlei Lessiak & Partner) zum Thema „Die Ö-Norm B2110 und Bauablaufstörungen„. Prof. Aicher erörtert in seinem Referat anhand des ABGB (insbesondere §1168 und §1170) und der Rechtssprechung die Auslegung der Sphärentheorie als Anspruchsgrundlage für Mehrkostenforderungen.
Dr. Lessiak kritisierte in seinem Beitrag die Entfernung der Ö-Norm B2110 vom „erfolgsabhängigen Konzept des Werkvertrages nach dem ABGB„, weil durch die Trennung zwischen Leistungsumfang (Bau-Soll) und Leistungsziel, „sowie der Festlegung, dass nur der Leistungsumfang, nicht jedoch das Erreichen des Leistungsziels mit dem vereinbarten Entgelt abgegolten ist“ und die damit verbundene Verschiebung von Risiken des Auftragnehmers in die Sphäre des Auftraggebers. Interessant war auch die Auseinandersetzung mit den Tatbestandselementen der Unvorhersehbarkeit und der Unzumutbarkeit der Abwendung von unvorhersehbaren Ereignissen.

Alles in allem war das 9. Grazer Baubetriebs- und Bauwirtschaftssymposium eine sehr gelungene Veranstaltung, die zudem perfekt organisiert war. Für alle, die nicht live dabei sein konnten, ist der Tagungsband mit allen Beiträgen (ausgenommen den von Mag. Weingrill / BIG) als Nachlese zu empfehlen. Den Tagungsband kann man hier direkt beim Institut für Baubetrieb + Bauwirtschaft, Projektentwicklung + Projektmanagement der TU Graz bestellen.

1 Kommentare

  1. alexander e. sagt

    Das klingt nach einem informativen und vor allem interessanten Bausymposium.

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