Produktivität

Ein Jahr mit Obsidian

Als ich Obsidian das erste Mal Ende 2020 installiert und auf meinem Mac geöffnet habe, bin ich erschrocken. Es war damals noch als Beta-Version ziemlich buggy und ich habe es nach wenigen Versuchen wieder gelöscht. Im Sommer 2022 bin ich der App dann wieder begegnet und seit Obsidian im Oktober 2022 die lange Beta-Phase verlassen hat, bin ich dabei (geblieben). Seither habe ich viel gelernt, nicht nur über Obsidian als App und wie vielfältig sie einsetzbar ist, sondern auch über die Philosophie dahinter und natürlich auch über PKM.

PKM steht für Produktivität

Ein digitales Notizbuch, oder besser ein Wissensmanagementsystem aufzubauen, in dem man Gelerntes und Wissenswertes speichern kann, um entweder damit weiterzuarbeiten, oder es für ein späteres Vorhaben verfügbar bzw. leicht erreichbar zu halten, war für mich eine jahrelange Odyssee. Diese Odyssee begann 2009 mit Evernote, das ich bis Ende 2017 im Einsatz hatte. Nach jeweils gut zwei Jahren mit Bear und Apples Notizen-App bin ich seit Oktober 2022 bei Obsidian gelandet.

In diesem ersten Jahr hat sich Obsidian zu (m)einem vertrauenswürdigen System für Notizen, Aufgaben, Listen und das produktive Arbeiten im Generellen entwickelt. Das vertrauenswürdige System ist meiner Meinung nach eines der wirkungsvollsten Konzepte, die David Allen in seinem Buch Getting Things Done beschreibt. Es soll dabei unterstützen, dass man sich auf das Wesentliche fokussieren kann, indem es die Dinge, an denen es zu arbeiten, oder die es zu erledigen gilt, unkompliziert und rasch verfügbar macht, wenn sie benötigt werden.
Daher ist beim Kultivieren (m)eines Systems für das eigene Wissensmanagement die Frage nach dem Einfluss auf die Produktivität wichtig. Denn ich wollte den Schritt über das Personal Knowledge Management hinaus zu einem Productive Knowledge Management (kurz: PKM) machen.

Sieben Gründe

Obsidian ermöglicht das Kultivieren eines solchen PKM-Systems. Das ist einer der Gründe, warum ich den leistungsfähigen Markdown-Editor so sehr schätze und auch gerne zum Schreiben und Denken verwende. Und das, obwohl Obsidian gar keine native App für macOS bzw. i(Pad)OS ist, sondern auf einer webbasierten und daher plattformübergreifenden Technologie namens Electron basiert.
Meine weiteren Beweggründe, die für den Nutzen von Obsidian sprechen – es sind in Summe sieben – habe ich im Sommer hier im Blog beschrieben und die müssen daher an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Die Philosophie, dass Dateien wichtiger sind als Apps, die insbesondere auch hinter dem zweiten Grund, der Zukunftssicherheit steckt, kam jedoch bisher zu kurz. Der CEO von Obsidian, Steph Ango schreibt dazu in seinem Blogbeitrag File over app:

Wenn Sie digitale Artefakte schaffen wollen, die Bestand haben, müssen es Dateien sein, die Sie kontrollieren können, in Formaten, die leicht abrufbar und lesbar sind. Verwenden Sie Werkzeuge, die Ihnen diese Freiheit geben.

Diese Philosophie ist die Grundlage für das sympathische, fünf Punkte umfassende Obsidian-Manifest. Vor allem hinsichtlich der Langlebigkeit, Anpassungsfähigkeit und Unabhängigkeit des mit Obsidian kultivierten PKM-Systems und seiner Inhalte.

Auch bei mir war es zunächst Neugier, aber nach ein paar Monaten im Parallelbetrieb mit Apples Notizen-App war ich von Obsidian überzeugt. Die Flexibilität, sowie die Tatsache, dass alle Notizen als einzelne Markdown-Dateien über das Dateisystem am Mac verfügbar und erreichbar sind, haben den entscheidenden Ausschlag gegeben.
Zwar ist der Einstieg in Obsidian kein Spaziergang, er gleicht eher einer Bergtour, der Aufwand lohnt sich jedoch, denn wie heißt es so schön: The best view comes after the hardest climb.

Steile Lernkurve

Es ist also schon richtig, dass Obsidian eine recht steile Lernkurve hat. Das schreckt viele Gelegenheitsnotierer ab. Aber das ist auch kein Problem, denn für das schnelle Aufschreiben und die Notiz zwischendurch sind zum Beispiel Apples Notizen-App oder Bear ohnehin deutlich besser geeignet.
Alle, die sich auf Obsidian einlassen möchten, können sich den Einstieg mit Videos auf YouTube und dem einen oder anderen Blogbeitrag erleichtern. Überaus hilfreich ist auch der Obsidian Field Guide, ein Videokurs von David Sparks. Und hat man einmal die ersten Hürden überwunden und ist schon etwas fortgeschritten in der Anwendung, dann kann ich aus eigener Erfahrung die Obsidian University von Mike Schmitz sehr empfehlen. Dort kann man sich nicht nur mit den Grundlagen vertraut machen, sondern lernt in einem vierwöchigen Online-Seminar einiges in der praktischen Anwendung dazu. Zudem bietet eine hilfsbereite, aktive Community viele Möglichkeiten zum Austausch.

Fazit

Ein PKM-System mit Obsidian zu kultivieren ist ein faszinierender Prozess, weil man den leistungsfähigen Markdown-Editor so vielfältig einsetzen kann. In diesem ersten Jahr ist Obsidian mein zentraler Hub für die tägliche Arbeit und auch für Privates geworden. Es ist ein digitaler Zettelkasten für das strukturierte Denken, die Ideenfindung und die Wissenssynthese mithilfe von Notizen. Zugleich dient Obsidian als Schreib-App, für das Aufgabenmanagement, als Leseliste, für die Tagesplanung und als Logbuch.

Und weil Obsidian eine ziemliche Prokrastinationsfalle sein kann, habe ich mich nach einer anfänglich euphorischen Phase des Ausprobierens auf den Grundsatz „weniger ist mehr“ besonnen. Deshalb verwende ich nach wie vor das Standard-Theme von Obsidian und habe in meinem Vault derzeit neun Community-Plugins installiert, die auch alle aktiv genutzt werden.
Ähnlich ist es mit der Struktur aus Ordnern, Tags und Bookmarks. Es gibt viele Struktur-Ideen in Blogs, YouTube-Videos und Büchern. Aber es ist wichtig, dass man herausfindet, was für einen selbst gut funktioniert. Sinngemäßes gilt auch für die Frage, ob man besser alle Notizen in einen Vault gibt, oder doch auf mehrere aufteilt. Alles hat seine Vor- und Nachteile. Die Entscheidung muss man schließlich selber treffen. Natürlich darf man im Laufe der Zeit auch schlauer werden, denn beim Kultivieren und Optimieren eines PKM-Systems ist nichts in Stein gemeißelt. Solche Systeme bleiben dadurch lebendig. Es ist jedoch empfehlenswert, dass man – wenn man sein vertrauenswürdiges System gefunden hat – auch dabei bleibt. In diesem Sinne freue ich mich auf mein zweites Jahr mit Obsidian, das im Oktober bereits begonnen hat.