Urban Mining bietet nicht nur eine Möglichkeit, mit Hilfe von Recycling im Sinne der Kreislaufwirtschaft den CO2-Ausstoß der Baubranche zu reduzieren, sondern die Bauwirtschaft kann sich damit auch ein Stück weit von der Rohstoffknappheit unabhängiger machen. Eine Frage drängt sich in diesem Zusammenhang besonders in den Vordergrund: Wie können die in Bauwerken enthaltenen Rohstoffe effektiv katalogisiert werden, um sie in Zukunft bei Bedarf erschließen und abbauen zu können? Eine mögliche Antwort findet man in einer Kombination von Urban Mining und BIM.
Grundsätzlich versteht man unter Urban Mining das Identifizieren, Quantifizieren und Erschließen anthropogener Lagerstätten, vor allem durch Aufbereitung und Wiedergewinnung der darin enthaltenen Rohstoffe. Kommunen (insbesondere Städte) sind demnach also Rohstofflager, die von Menschen geschaffen wurden. Die Bewirtschaftung der in den Bauwerken und der Infrastruktur einer Stadt gespeicherten Materialien birgt das große Potential von Urban Mining. Es ist ein wichtiger Teil der Kreislaufwirtschaft und somit auch für den Klimaschutz von Relevanz.
Die Bedeutung und Vorteile von Urban Mining erklärte Prof. Helmut Rechberger schon vor über zehn Jahren unter anderem in seinem Artikel „Urban Mining ist mehr“. Er beschreibt dort die Idee, die materielle Zusammensetzung von neuen Bauwerken im Zuge der Planung in einem Gebäudepass zu dokumentieren. Damit wäre es möglich, „das Rohstoffpotential eines Bauwerkes abzuschätzen und die Effizienz des Rückbaus zu kontrollieren. Der flächendeckende Einsatz des materiellen Gebäudepasses würde zu einer Art Rohstoffkataster führen, in der Art, dass man wüsste welche Massen an ausgewählten potenziellen Sekundärrohstoffen in einer Siedlung gespeichert sind und welche Mengen auf Grund von Um- und Rückbau wann zu erwarten sind. Dies ist im Sinne des Urban Mining für die Recycling-Industrie als Planungsgrundlage von großer Bedeutung. Es ist durchaus davon auszugehen, dass bei steigenden Energiepreisen zukünftig ganze Branchen in Europa ihren Rohstoffbedarf überwiegend aus Schrotten abdecken werden.“
Ähnliche Ansätze hinsichtlich einer auch für den allfälligen Rückbau einer Immobilie optimierten Planung samt zugehöriger Dokumentation für neue Bauwerke gibt es auch in den Kriteriensteckbriefen der DGNB und ÖGNI.
Die Planungsmethode BIM bietet die Möglichkeit, die Rohstoff- und Rückbaudokumentation eines Bauwerks – also den Rechberger’schen materiellen Gebäudepass – digital zu erstellen. Dadurch können im digitalen Bauwerksmodell auch die Rohstoffmassen lagerichtig erfasst und Rückbauszenarien simuliert werden. Bei einem flächendeckenden Einsatz könnten auf diese Weise Rohstofflager von Stadtteilen, Quartieren udgl. digital erfasst, die darin enthaltenen Sekundärrohstoffe effizienter quantifiziert und Wirtschaftlichkeitsberechnungen für Rückgewinnungsvarianten simuliert werden.
Voraussetzung für den flächendeckenden Einsatz ist die Schaffung von gesetzlichen Grundlagen beispielsweise durch einen verpflichtenden digitalen Material-Gebäudepass in einem BIM-Modell zur Erlangung einer Benutzungsbewilligung.
Für Neubauten wäre das ein durchaus praktikables Vorgehen. Aber was ist mit der Vielzahl an bereits bestehenden Gebäuden und der Infrastruktur? Hierfür müssten bestehende Bauwerke und die bestehende Infrastruktur zuerst digital erfasst und die Materialinformationen – sofern vorhanden bzw. zugänglich – nachträglich eingegeben werden. Ein immenser Aufwand, wenn man das manuell durchführen wollte. Bei der digitalen Erfassung der Geometrie können moderne Vermessungsmethoden den Aufwand deutlich reduzieren. Mit solchen Verfahren ist es möglich, Punktwolken zu erzeugen, aus denen dann BIM-fähige 3D-Modelle der Bauwerke abgeleitet werden können. Aber auch dafür ist ein manueller Aufwand erforderlich. Und wie sieht es dann mit dem Gebäudeinneren aus? Dazu müsste man jeden Raum eines Gebäudes ebenfalls digital erfassen. Das wäre beispielsweise mit dem Roboterhund Spot von BostonDynamics möglich, der mit einem Laserscanner von Leica ausgestattet, selbständig durch das Gebäude marschiert und dieses von innen vermisst.
Übrigens digitalisiert der Leica-Eigentümer HEXAGON bereits recht eifrig Städte rund um den Globus mit seiner CityMapper-Technologie. Dadurch entstehen dreidimensionale Modelle von Städten und Stadtteilen, die als Grundlage für verschiedenste Nutzungen verwendet werden können. Die Modelle aus dem HxGN Content-Program bestehen aus hochauflösenden Orthofotos, ergänzt mit Schrägbildern, LiDAR-Punktwolken und dreidimensionalen Gebäudemodellen, sowie digitalen Geländemodellen und Landnutzungskarten.
Natürlich beinhalten diese Datenmodelle nur die äußeren Geometrien von Bauwerken und der Infrastruktur und müssten um die Materialdaten oder – sofern gewünscht – das Innenleben der Gebäude für eine Rohstoffdatenbank ergänzt werden. Denkbar wäre es, diese Ergänzungen durch eine KI durchführen zu lassen. Diese KI müsste zuvor so trainiert werden, dass Sie aus den Gebäudeaufnahmen bzw. aus Fotos von den Bauwerken und diversen alphanumerischen Informationen zum Gebäude (z.B. alten Baubescheiden, statischen Berechnungen, Energieausweisen udgl.) Informationen zu den verbauten Materialien extrahiert und diese dann in das digitale Stadt- oder Stadtteilmodell einpflegt.
Auf diese Wiese können digitale Zwillinge von Städten, Stadtteilen oder Quartieren entstehen, die als urbane Rohstofflandkarten zur Unterstützung von Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit genutzt werden können.
Artikelbild: “lego 21028 New York City” von Lego Photo mureut auf flickr.com