Technik

Digitalisierung in Zeitlupe

Die Baubranche ist nicht gerade dafür bekannt, schnell auf Trends zu reagieren. Kostensteigerungen sind dabei die einzige Ausnahme. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass die Digitalisierung in der Baubranche – jedenfalls gefühlt – nur langsam voranschreitet. Ein vor kurzem erschienener Artikel auf heise.de macht einmal mehr auf den Nachholbedarf der Baubranche in Sachen Digitalisierung aufmerksam. Aber was ist eigentlich der Grund für die schnarch-langsame Digitalisierung der Baubranche? Und geht es tatsächlich so langsam, oder ist das nur eine Wahrnehmung?

Verzögerungen durch fehlendes Fachwissen

Im oben erwähnten Artikel wird das Ergebnis einer neuen Umfrage der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC zusammengefasst. Langer Rede, kurzer Sinn: die Digitalisierung der Baubranche mit Robotern, Drohnen, Echtzeit-Reporting von der Baustelle und ähnlichem hat noch spürbar Luft nach oben. Das begründen 91 Prozent der Befragten mit dem allgegenwärtigen Fachkräftemangel und fehlendem Fachwissen, wodurch die Nutzung digitaler Lösungen verzögert oder gar verhindert wird.

Ohne Digitalisierung keine Konkurrenzfähigkeit

Dabei wäre das Potential für die Baubranche durch Digitalisierung nahezu gigantisch. In einer Wechselwirkungsanalyse zur Digitalisierung der steirischen Bauwirtschaft haben wir an der FH Joanneum vor zwei Jahren untersucht, welche Digitalisierungsszenarien wahrscheinlich sind oder sich gar gegenseitig begünstigen. Das Ergebnis damals war, dass die Digitalisierung der Baubranche in kurz- bis mittelfristiger Zukunft in nahezu allen Bereichen deutlich zunehmen wird. Dies wird insbesondere dadurch intensiviert, dass sich verschiedenen Bereiche der Baubranche gegenseitig bei der Digitalisierung befruchten. Beispielsweise wird ein auf die BIM-Methode umgestellter Planungsprozess auch positive Auswirkungen auf die Digitalisierung der Bauausführung, der Fertigungstechnik und der Behördenverfahren haben. Ebenso deutlich wurde, dass die „Verschlossenheit gegenüber neuen Technologien und Arbeitsmethoden es äußerst schwierig machen werden, mittel- bis langfristig konkurrenzfähig bleiben zu können“.

Ausbildung und gesetzliche Grundlagen wirken beschleunigend

Aus- und Weiterbildung für die Anwendung digitaler Werkzeuge sind ein wesentlicher Baustein für die Digitalisierung der Baubranche. Aber der branchenimmanent hohe Kosten- und Zeitdruck lässt dafür zu wenig Spielraum. Das wiederum belegt die Einschätzung aus der eingangs erwähnten Umfrage von PwC, dass fehlendes Fachwissen die Digitalisierung verzögert.

Erschwerend kommt noch hinzu, dass öffentliche Auftraggeber in Österreich nur zögerlich und langsam zur Digitalisierung beitragen. Besonders nachteilig dabei ist, dass es hierzulande – anders als in anderen EU-Ländern – keinerlei gesetzliche Verpflichtung für den Einsatz der BIM-Methode und anderer Digitaltechnologien bei öffentlichen Planungs- und Bauaufträgen gibt.

Kein Grund zur Panik

Selbst wenn es langsam geht, besteht noch kein Grund zur Panik. Tiefgreifende Veränderungen wie die Digitalisierung brauchen eben ihre Zeit und es ist ja nicht so, als würde gar nichts passieren oder Stillstand herrschen. Auch die Umstellung auf CAD in den 1980er und 1990er-Jahren ging nicht von heute auf morgen. Es gab eine relativ lange Phase des Ausprobierens und nach ein paar Jahren ging die Umstellung dann relativ rasch. Zunächst haben die Planungs- und Ingenieurbüros begonnen, ihre Prozesse vom Zeichenbrett auf den Computer zu übertragen. Und erst nach und nach haben auch andere Bereiche in der Branche in diese digitale Planungstechnik investiert. Binnen weniger Jahre wurde CAD sogar in Klein- und Mittelbetrieben selbstverständlich.

BIM als Digitalisierungs-Hub

Ähnlich verhält es sich derzeit mit der Umstellung auf die BIM-Methode. Schon vor Jahren haben Planungs- und Ingenieurbüros begonnen, sich damit zu befassen. Mittlerweile sind Technologie und Methode auch bei bauausführenden Unternehmen angekommen.

Aber mit BIM ist es anders als damals bei der Umstellung auf CAD. BIM ist eine Art Hub-Technologie für die Digitalisierung der Baubranche. Denn an das virtuelle Bauwerksmodell, das mit der BIM-Methode erzeugt wird, docken viele andere Digitaltechnologien an, wie zum Beispiel die Abrechnung der Bauleistungen. Die Aufmaßermittlung kann digital mit Drohnen und LiDAR– oder Laserscannern erfolgen. Die Abrechnung ist dann automatisiert über entsprechende Zuordnungen im virtuellen Bauwerksmodell quasi auf Knopfdruck möglich.

Mehr Pilotprojekte und niederschwellige Zugangsmöglichkeiten

Die großen Potentiale der Digitalisierung liegen in der Durchgängigkeit der Prozesse. Um diese Durchgängigkeit zu testen und praxistauglich zu machen, braucht es noch mehr Pilotprojekte in allen Bereichen der Bauwirtschaft – also nicht nur im Hochbau, sondern auch im Tief- und Infrastrukturbau – die über bloße 3D-Planung hinausgehen und zum Beispiel auch die Potentiale für die oben erwähnten digitalisierten und automatisierten Abrechnungsprozesse aufzeigen.

Niederschwellige Zugänge zu digitalen Technologien für Klein- und Mittelbetriebe sollen die Angst vor BIM, Drohnen & Co. nehmen. Das kann mit einfach zu bedienende Plattformen gelingen, über die Mitarbeiter von Handwerksbetrieben direkt auf der Baustelle mit dem Smartphone Aufmaßdaten in das virtuelle Bauwerksmodell einpflegen können.

Science-Fiction

Natürlich klingt das alles noch ein wenig nach Science-Fiction. Daher ist es schon richtig, dass es einiges aufzuholen gibt. Alles auf den Fachkräftemangel und fehlendes Fachwissen zu schieben, klingt aber nach einer zu einfachen Verlegenheitsausrede.

Damit die Digitalisierung der Baubranche nicht noch länger wie Science-Fiction klingt, wäre die Einführung gesetzlicher Verpflichtungen zum Einsatz von BIM in Planung, Ausführung und Projektdokumentation, sowie bei den behördlichen Genehmigungsprozessen für öffentliche Bauprojekte ein wichtiger, schubgebender Schritt. Und bis sich BIM als Technologie-Hub vollständig etabliert hat, wird die Digitalisierung der Baubranche vermutlich weiterhin gefühlt wie in Zeitlupe wahrgenommen.