Produktivität

Fokuszeit

Wäre es nicht schön, wenn das menschliche Gehirn einen Autofokus hätte? Einen Autofokus, mit dem man von einem Augenblick auf den nächsten in einen hoch konzentrierten, fokussierten Arbeitsmodus umschalten könnte. Da vermutlich niemand über diese Gabe verfügt, muss man auf andere Hilfsmittel wie Biorhythmus und Neurotransmitter zurückgreifen. Mit etwas Wissen darüber kann dann ausreichend Fokuszeit im Arbeitsalltag geschaffen werden.

Im letzten Sommer habe ich einen Blogpost von Shawn Blanc über die drei Entwicklungsstufen der persönlichen Produktivität gelesen. Während es auf der ersten Stufe primär um Effizienz geht, also die richtigen Systeme, Methoden und Werkzeuge zu finden, um damit alle Aufgaben, Projekte und Lebensbereiche zu organisieren, geht es auf der zweiten Stufe um die Erkenntnis, dass man ausreichend zeitlichen Raum schaffen muss, damit man tatsächlich zum produktiven Arbeiten kommt. Allerdings steht auch auf der zweiten Stufe noch die Effizienz im Vordergrund und man versucht, alles irgendwie unter einen Hut zu bekommen. Sobald man die dritte Stufe erreicht, erkennt man, dass es nicht so sehr um die Apps, Methoden und Systeme, oder die Effizienz geht. Es geht vielmehr um die Bedeutung dessen, was man tut und wie man es tut. Effizienz weicht Effektivität, Qualität und der tiefere Sinn der Arbeit rücken in den Vordergrund.

Die wesentliche Frage auf der dritten Entwicklungsstufe der persönlichen Produktivität lautet also nicht, wie man noch mehr Dinge erledigen und die eigene Effizienz steigern kann, sondern wie man sich fokussiert, um konzentriert und sinnvoll arbeiten bzw. produktiv sein zu können. Die Antwort auf diese Frage liefert allerdings kein Patentrezept. Sie ist sehr individuell und jede und jeder muss für sich selbst herausfinden, wie und wann man am besten die eigene Fokuszeit finden kann. Dabei gilt es zu bedenken, dass man einen Zustand hoher Konzentration und Fokussierung jedoch nicht ausschließlich durch reine Willenskraft erreichen kann. Auch der menschliche Körper spielt eine entscheidende Rolle.

Neurotransmitter

Im Zuge von Studien und Forschungsarbeiten wurde festgestellt, dass zum Erreichen eines hoch konzentrierten, fokussierten Zustands drei Neurotransmitter bzw. Botenstoffe im menschlichen Nervensystem primär verantwortlich sind: Dopamin, Noradrenalin und Acetylcholin.

Während Dopamin dafür sorgt, dass man sich gut fühlt bzw. Spaß hat, bei dem, was man gerade tut und dass man dazu angeregt wird, diesen Zustand so lange wie möglich beizubehalten bzw. mehr davon tun zu können, sorgt Noradrenalin für die Einsatzbereitschaft, erhöht die Wachsamkeit und wird dann ausgeschüttet, wenn Angst oder innerer Druck entstehen. Beide Neurotransmitter haben hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Produktivität und Leistungsfähigkeit positive und negative Effekte.

Bei Acetylcholin verhält es sich ähnlich. Es ist am autonomen Nervensystem beteiligt, also an allen unbewussten, meist biochemischen Aktivitäten im menschlichen Körper, wie Kontraktion der Skelettmuskulatur, Verdauung, Atmung oder Herzfrequenz. Im zentralen Nervensystem ist Acetylcholin zudem für die Aufrechterhaltung von Konzentration, Lernen und dem Bilden von Erinnerungen im Gedächtnis verantwortlich. Ein erhöhter Acetylcholinspiegel verbessert die kognitive Leistung und wirkt sich positiv auf die Kreativität aus. Auf der anderen Seite bedeutet ein Mangel an Acetylcholin, dass man Schwierigkeiten hat, sich zu fokussieren und an Dinge zu erinnern. Im Rahmen von Studien wurde festgestellt, dass eine Schädigung des cholinergen Systems, das Acetylcholin produziert, mit Demenzerkrankungen wie Alzheimer und Parkinson in Zusammenhang steht. Übrigens kann auch Stress zu einem Mangel an Acetylcholin führen, da selbiges in solchen Situationen in überdurchschnittlichen Mengen verbraucht wird.

Durch entsprechende Ernährung oder Nahrungsergänzungsmittel kann der Acetylcholinspiegel erhöht werden. Beispielsweise durch das Essen von Eiern, tierischen Proteinen wie Rinder- oder Hühnerleber, Innereien wie Nieren und Herz oder Zungen, Meeresfrüchten, Lachs, Milch, Käse, Joghurt, sowie Sojaprodukten, Erdnüssen und Cashewkernen. Auch folsäurehältige Lebensmittel, vor allem Hülsenfrüchte wie Erbsen, Bohnen und Linsen, oder grünes Gemüse, wie Brokkoli und Spinat wirken sich erhöhend auf den Acetylcholinspiegel im menschlichen Körper aus. Koffein wirkt sich auch positiv auf den Acetylcholinspiegel aus, allerdings in umgekehrter Form, denn es hemmt den Abbau. Auch Fasten hemmt den Abbau von Acetylcholin.

Einfluss auf die Produktivität

Dopamin und in gewissen Situationen auch Noradrenalin wirken sich beide auf die Motivation aus. Für fokussiertes Arbeiten können sie jedoch sogar hinderlich sein. Ein Dopaminschub kann einen positiven Effekt haben, wenn man bei der aktuellen Tätigkeit einen Fortschritt erzielt hat. Zum Beispiel dann, wenn man nach einer Stunde Schreibarbeit die geschriebenen Wörter zählt und das selbst gesteckte Ziel erreicht hat. Allerdings bekommt man auch einen Dopaminschub, wenn man eine Benachrichtigung über einen neuen Follower oder einen neuen Like in den sozialen Medien bekommt. Das wiederum wirkt sich auf die Produktivität negativ aus, da es von der eigentlichen Arbeit ablenkt und eine fokussierte Phase unterbricht.

Actylcholin hingegen beeinflusst die Fähigkeit zur Konzentration direkt. Dieser Effekt ist auch spürbar, beispielsweise kann der Konsum einer Tasse Kaffee den Acetylcholinspiegel für mehrere Stunden auf einem höheren Niveau halten und somit die Konzentrationsfähigkeit fördern. Damit lässt sich die eigene Fokuszeit sogar beeinflussen.

Produktivität und fokussiertes Arbeiten sind aber nicht ausschließlich von neurochemischen Botenstoffen abhängig, sondern auch von einer ausgewogenen Tags- bzw. Zeitplanung. Das oder die idealen Zeitfenster für fokussiertes Arbeiten richten sich nach den individuellen Vorlieben und dem jeweiligen Bio- bzw. Tagesrhythmus. Für manche Menschen sind das eher die frühen Morgenstunden, für andere wiederum der Abend und die Nacht. Der britische Autor Jeffrey Archer schreibt beispielsweise für einige Wochen im Jahr jeden Tag ab sechs Uhr morgens in einem Zweistundenrhythmus – also von sechs bis acht Uhr morgens, am Vormittag von zehn bis zwölf Uhr, am Nachmittag von zwei bis vier Uhr und abends nochmals von sechs bis acht Uhr. Dabei geht es ihm nicht darum, wie viele Wörter oder Seiten er täglich schreibt. Er schafft es, sich den ganzen Tag so darauf zu fokussieren, weil er sich in seiner Villa in Sa Torre auf Mallorca nahezu allen anderen Einflüssen entzieht. Tom Hillenbrand, ebenfalls Autor, schreibt hingegen jeden Tag in seinem Münchner Büro zweitausend Wörter. Sobald er dieses tägliche Ziel erreicht hat, kümmert er sich um andere Dinge, wie zum Beispiel administrative Tätigkeiten oder E-Mails.

Fazit

Natürlich ist Klarheit ein Schlüssel zum fokussierten Arbeiten. Klarheit darüber, was wichtig ist, schafft auch Klarheit darüber, was nicht wichtig ist. Ein Mangel an Klarheit vielleicht in Kombination mit einem Überschuss an Dopamin führen zu unkonzentrierter Pseudoproduktivität, wie dem Abrufen und Beantworten von E-Mails oder dem Scrollen durch soziale Medien und sonstige Nachrichten.

Der zweite Schlüssel zum fokussierten Arbeiten ist der eigene Körper. Zum einen das Wissen über die beeinflussenden Neurotransmitter und zum anderen der eigene Bio- bzw. Tagesrhythmus. Damit sollte es möglich sein, dass man unter Berücksichtigung der individuellen Vorlieben täglich zwei bis drei Stunden als Fokuszeit für die wichtigsten Aufgaben reservieren kann. Diese Fokuszeit ist ausschließlich für die kreativen Prozesse vorgesehen, oder jene Tätigkeiten, die ein hohes Maß an Konzentration und Fokus erfordern. Wie man diese Einteilung trifft und ob man den Erfolg von täglich messbaren Zielen abhängig machen möchte, muss man schließlich für sich selbst herausfinden.