Als ich im letzten September den Artikel über das aktuelle iPad Pro und die Software für iPadOS im Standard las, musste ich darüber noch schmunzeln und schob die Gedanken beiseite, dass ich das iPad Pro vielleicht überbewertet habe. Aber die Feststellung, dass das iPad hardware-technisch mittlerweile ein durchaus tauglicher Computer-Ersatz geworden ist, dessen Möglichkeiten jedoch durch unzureichende Software bei Weitem nicht ausgeschöpft werden können, ließ mich seither nicht mehr los. Und jetzt hat Apple diese Woche bei seinem Frühlings-Event nochmal nachgelegt – und zwar kräftig! Aber macht das Sinn, stets nur die Hardware zu pushen und bei der Software zu schwächeln? Dazu ein paar Gedanken …
Seit 2010 verwende ich das iPad. Es hat das mobile Arbeiten durchaus bereichert und erleichtert. Und das nicht erst seit es die Pro-Modelle gibt. Natürlich stößt man mit einem iPad – selbst mit einem der Pro-Modelle – rascher an Grenzen, als auf einem Mac (oder PC). Aber das liegt mittlerweile nicht mehr an der Hardware. Die aktuellen iPad Pro’s der letzten zwei Generationen (2018 und 2020) und das jüngste 2021er-Modell sind hinsichtlich Leistungsfähigkeit der Prozessoren, des Bildschirms oder des Speichers den meisten Computern ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen.
Gerade das jüngste Modell, das mit dem aktuellen M1-Chip von Apple ausgestattet ist und über ein Mini-LED-Display und eine hervorragende Kamera verfügt, zeigt deutlich was alles mit einem Tablet-Computer machbar wäre. Ja, Konjunktiv, richtig gelesen. Denn wenn da nicht das Betriebssystem und die Software als limitierende Faktoren wären. Seit ich einen Mac mit dem neuen M1 Chip für meine täglich Arbeit einsetze, muss ich ehrlicherweise eingestehen, dass das iPad einen „richtigen“ Computer derzeit (für mich) noch nicht ersetzten kann. Und daran ändert auch die jüngst vorgestellte, tolle Hardware nichts. Ganz im Gegenteil, das ist genau der Grund, warum man von einem iPad Pro deutlich mehr erwarten darf. Und dabei sind das alles keine hochgesteckten Erwartungen, sondern dringend notwendige Korrekturen und Ergänzungen in iPadOS, damit das iPad die Zusatzbezeichnung Pro auch tatsächlich verdient. Hier ein paar Beispiele:
- Die mangelhafte Unterstützung externer Bildschirme ist so ein Punkt. Natürlich lässt sich darüber trefflich streiten, ob ein Tablet-Computer das überhaupt können muss. Aber ein Tablet-Computer, der den Pro-Bereich anspricht und auch in der Preisklasse eines iPad Pro rangiert, der muss das jedenfalls drauf haben. Und zwar deutlich besser, als das derzeit der Fall ist, denn das ist bestenfalls ein fauler Kompromiss. Vielleicht bringt hier der Thunderbolt-Anschluss im neuen iPad Pro die gewünschten Verbesserungen – aber natürlich auch nur dann, wenn von der Software entsprechend unterstützt wird.
- iPadOS hat sich in Sachen Fenster- und Dateimanagement, sowie Multitasking in den letzten Jahren wirklich großartig weiter entwickelt. Und für viele Anwendungsbereiche wird das, was iPadOS uns da anbietet auch völlig ausreichend sein. Mit ein paar Tricks kann man sogar recht anständig arbeiten. Aber auch hier muss man das Pro-Image, das Apple seinen iPads angedeihen lassen möchte, berücksichtigen. Denn schnell mal ein Fenster etwas verschieben, um den Blick auf Dateien freizumachen, die auf dem Homescreen (= „Schreibtisch“) liegen und diese dann mit einer flotten Bewegung an die gewünschte Stelle in der Dateien-App abzulegen, ist nicht einmal vorgesehen. Auch wenn viele Anwender gar nicht mehr mit Dateien hantieren wollen oder sollen, die meisten Pro-User müssen flott, unkompliziert und einfach auf Dateienebene operieren können.
- Pro-Software für kreative Bereiche ist vielfach vorhanden und so gelingen Videoschnitt und Bildbearbeitung am iPad Pro mittlerweile auf ähnlich hohem Niveau, wie auf einem Mac (oder PC). Aber es hakt an den Kleinigkeiten für nicht kreative Pro-Nutzer. Nicht nur, dass es keine vernünftige Tabellenkalkulationssoftware am iPad gibt (sowohl Excel als auch Numbers bieten nur einen reduzierten Funktionsumfang), es nervt zum Beispiel auch, dass es keine Möglichkeit gibt, um am iPad ein benutzerdefiniertes Zellenformat in Numbers einzustellen oder zu bearbeiten. Das darf auf einem Pro-Gerät nicht passieren. Hier braucht es vollwertige Funktionen, die mit denen auf einem Mac (oder PC) vergleichbar sind.
- Auch bei den seit gut einem Jahr allgegenwärtigen Videokonferenzen besteht Aufholbedarf. Da ist es nämlich kaum möglich, die App zu wechseln und zugleich die Videoverbindung aufrecht zu halten. Sobald nämlich die App mit der Videokonferenz in den Hintergrund gerät und entweder daneben eine andere App geöffnet oder mit slide-over überdeckt wird, bricht die Videoverbindung ab und es bleibt nur noch der Ton. Von der etwas eigenartigen Bildgeometrie aufgrund der seitlichen Kameraposition im landscape-Modus mal ganz abgesehen. Aber da macht ja die im neuen iPad Pro verbaute Kamera mit Folgemodus Hoffnung.
Alle diese Problemchen hat man mit einem MacBook Air mit M1-Chip nicht. Und selbst die Akku-Laufzeit ist seit dem M1 kein Argument mehr. Denn ein MacBook Air mit M1 hält mindestens gleich lange durch, wie das 2020er iPad Pro.
Aber wo viel Licht ist, ist auch Schatten und so gibt es durchaus auch Vorzüge, die man – einmal am iPad erfahren – am Mac mehr oder weniger vermisst:
- Shortcuts (Kurzbefehle) beispielsweise fehlt mir am Mac sehr. Es wäre so naheliegend, das auch auf einem Mac mit M1-Chip nutzen zu können. Hoffentlich bessert Apple da bald nach und liefert das mit macOS 12.
- Natürlich hat man am Mac mit und ohne M1-Chip nicht die vielen Vorteile der modularen Einsatzmöglichkeiten, die ein iPad Pro mit Stift- und Touchbedienung bietet. Aber ganz ehrlich gesagt, meistens arbeite ich am iPad Pro auch mit Tastatur und Maus bzw. Trackpad und nutze den Tablet-Modus nur selten.
- Hinsichtlich Stabilität darf macOS gerne etwas von iPadOS dazulernen. Denn mein iPad Pro funktioniert einfach und funktioniert und funktioniert und das viele Wochen lang, ohne einen Neustart. Meinen Mac muss ich hingegen in deutlich kürzeren Zeitabständen durchstarten, damit dann zum Beispiel App-Updates wieder durchlaufen.
Selbstverständlich ist das alles jammern auf hohem Niveau. Aber Apple legt sich die Latte selbst so hoch. Und mit dem jüngsten Hardware-Update für das iPad Pro sogar noch ein deutliches Stück höher. Klar, dass das dann bei den Nutzern Erwartungen weckt. Ich will es nicht so krass formulieren, wie Jason Snell in seinem Artikel The iPad Pro is a killer machine but its software is killing me. Aber er hat schon recht, denn selbst mit einem M1-Chip, Liquid Retina XDR Display und all den anderen tollen Funktionen kann das iPad Pro mit den M1-Macs nicht mithalten, wenn’s um simple Dinge geht, die dann aufgrund unzureichender Software nicht bewerkstelligt werden können.
Naja, ein bisschen Zeit zum Nachbessern und Aufpolieren der Software für’s iPad Pro bleibt ja noch bis zur WWDC und hoffentlich tritt das ein, was Frederico Vittici schreibt: I’d be really surprised if the second half of this story isn’t dropping in six weeks.