Zunehmende Komplexität bei Bauprojekten, neue Herausforderungen in der Teamführung und die ganzheitliche Betrachtung der Bauwerke über ihren gesamten Lebenszyklus sowie das Modethema Nachhaltigkeit stellen zentrale Herausforderungen für Projektmanager dar. Aber wie können wir diesen Zukunftsthemen begegnen, was können Schwerpunkte in Lehre und Forschung im Fachbereich Bauprojektmanagement sein? Hier ein paar Gedanken und Ideenskizzen dazu …
Das Management bei der Entwicklung, Planung und Errichtung von Bauwerken kann als Urform des Projektmanagements bezeichnet werden. So schreibt das auch Dr. Georg Angermeier im wohl größten deutschsprachigen Projektmanagement-Glossar vom ProjektMagazin.de und begründet diese Sichtweise damit, dass die vermutlich ältesten, bekannten Großprojekte wie z.B. die Pyramiden oder die chinesische Mauer eben Bauprojekte waren. Aber was beinhaltet das Management von Bauprojekten überhaupt alles und wie benennen bzw. definieren wir es? In einem meiner ersten Artikel hier im BPM-Blog habe ich als Begriffe das Bauprojektmanagement im engeren und weiteren Sinne skizziert und ein paar Monate später um die Blickwinkel des auftraggeberseitigen und auftragnehmerseitigen Bauprojektmanagement ergänzt. Im Zentrum der Betrachtung standen Projektrollen, die es je nach Größe und Komplexität eines Projektes zu besetzen gilt.
Die Sichtweise insbesondere im zweiten Artikel ist stark von jener des industriellen Zeitalters geprägt. Dr. Marcus Raitner schreibt in seinem Blog über das Zwei-Klassen-System im Projektmanagement (wenige leiten/steuern/planen, viele führen aus) und nennt es industrielles Projektmanagement, in Anlehnung an klassische Organisationsformen aus dem industriellen Zeitalter. Er führt weiters aus, dass dieses industrielle Projektmanagement stark von Effizienz geprägt ist und dass diese Form des Projektmanagements dann gut funktioniert, wenn die Komplexität eines Projektes so gering ist, dass die Kreativität der wenigen, die das Projekt leiten/steuern/planen ausreicht, um alle Hindernisse zu bewältigen. Diese Voraussetzung mag zunächst ohne genauere Betrachtung für das Bauwesen als erfüllt erscheinen, da das Zwei-Klassen-System mit dem Planungsteam auf der einen und der Gruppe der bauausführenden Auftragnehmer auf der anderen Seite offensichtlich bei jedem Bauprojekt vorhanden ist. Auch innerhalb des Planungsteams ist das Zwei-Klassen-System erkennbar, denn im Hochbau übernimmt oftmals der Architekt eine führende Rolle und die übrigen Fachplaner und Konsulenten arbeiten ihm zu. Aber genau dieses System gerät immer mehr an seine Grenzen, da die stark zunehmende Komplexität unserer Bauwerke auch die Baubranche langsam aber stetig in das postindustrielle Zeitalter führt.
Prof. Peter Kruse erklärt in einem Interview, das auf YouTube angesehen werden kann, wie Menschen auf Komplexität reagieren. Im Wesentlichen gibt es 5 Strategien zur Bewältigung komplexer Problemstellungen: Trial & Error, Ausblenden der Komplexität, Versuche des rationalen Durchdringens, Trivialisieren durch Problemreduktion und emotionale Bewertung bzw. intuitives Agieren. Die letztere Strategie ist die, die nach Prof. Kruse am ehesten zum Erfolg führt, sofern die Erfahrungswerte der Entscheider aktuell sind und aus vergleichbaren Situationen stammen. Und es ist nach Prof. Kruse wichtig, dass eine intuitive Entscheidung bei der Lösung komplexer Aufgabenstellungen im Kollektiv – also im Team – erfolgt, denn über die Abstützung einer Entscheidung auf möglichst viele intuitive Erfahrungswerte kann die Fehlerquote reduziert und das reale System bestmöglich abgebildet werden. Die zukünftigen Herausforderungen im Bauprojektmanagement sind also die Schaffung eines geeigneten Bauprojektmanagement-Rahmenwerks für den Übergang vom industriellen Zeitalter in ein postindustrielles Zeitalter mit einem starken Fokus auf Wissensarbeit und die bestmögliche Bewältigung der zunehmenden Komplexität. Letztere nicht zuletzt auch aufgrund der immer mehr in den Vordergrund drängenden Aspekte einer ganzheitlichen Betrachtung des Immobilienlebenszyklus im Konnex mit Nachhaltigkeit beim Planen, Bauen und Betreiben.
Aber wie können wir diese Herausforderungen bewältigen? Was sind mögliche Aufgabengebiete für Lehre und Forschung im Fachbereich des Bauprojektmanagements in der Zukunft?
Treu dem Alten, aber nicht minder empfänglich für das Bessere Neue.
(Erzherzog Johann von Österreich)
Und genau diesem Motto folgend müssen wir nicht gleich alle bewährten Methoden über Bord werfen und das Rad neu erfinden. Aber ein Blick über den Tellerrand auch in andere Branchen ist dabei sicher sinnvoll und hilfreich. Im Bereich der Informationstechnologie haben sich beispielsweise in den letzten Jahren neue Formen des Projektmanagements – so genannte agile Methoden – entwickelt, mit denen den postindustriellen Anforderungen und der zunehmenden Komplexität besser begegnet werden kann. In einem Blog-Artikel habe ich vor einiger Zeit versucht, ein agiles Vorgehen bei der Planung eines Bauprojektes anhand von SCRUM darzustellen. Diese Methoden müssen hinsichtlich der Möglichkeiten für den Einsatz bei der Entwicklung und Planung von Bauprojekten natürlich noch weiter und wesentlich genauer untersucht werden. Und da bei diesen agilen Projektmanagementmethoden von den Projektteams ein hohes Maß an Selbstorganisation vorausgesetzt wird, ist auch die Führung solcher selbstorganisierter Projektteams zur bestmöglichen Bewältigung der Projektaufgaben ein Zukunftsthema für das Bauprojektmanagement.
Die ganzheitliche Betrachtung des Bauwerks über seinen Lebenszyklus und insbesondere die Planung nachhaltiger Bauwerke stellen einen zentralen Auslöser für die Zunahme der Komplexität bei Bauprojekten dar. Die daraus resultierenden Anforderungen müssen ebenfalls in einen erneuerten Ansatz des Bauprojektmanagements integriert werden.
Um also das Bauprojektmanagement in der sprichwörtlichen Version 2.0 quasi neu denken zu können, sind Lehre und Forschung hinkünftig vor allem auf die Integration von alternativen, agilen Projektmanagementmethoden und den damit verbundenen Führungsaufgaben in die klassischen Vorgehensmodelle auszurichten. Nur so kann sichergestellt werden, dass den Anforderungen aus zunehmender Komplexität, aus den Lebenszyklusbetrachtungen und der Nachhaltigkeit in Hinkunft effektiv begegnet werden kann.
Dieser Abschnitt
> … dass diese Form des Projektmanagements dann gut funktioniert, wenn die Komplexität
> eines Projektes so gering ist, dass die Kreativität der wenigen, die das Projekt leiten/steuern/planen
> ausreicht, um alle Hindernisse zu bewältigen. Diese Voraussetzung mag zunächst ohne genauere
> Betrachtung für das Bauwesen als erfüllt erscheinen, …
scheint mir besonders wichtig. Möglicherweise werden viele Projekte (nicht nur am Bau) sträflich unterschätzt, die Kunst wäre es vorab die Komplexität besser zu erkennen. Da muss ich mal gründlich darüber nachdenken. Danke für den Anstoß.
Hallo Eberhard, danke für Deinen Kommentar! Das Messen von Komplexität ist ein spannendes Thema. Die Komplexität eines (Bau)Projektes allerdings schon im Vorhinein oder in einer sehr frühen Projektphase abzuschätzen wäre eine noch größere Herausforderung. Es würde aber natürlich einige Hilfestellungen für das Projektmanagement bieten. Sollten wir beim PM-Camp mal andiskutieren …
> Sollten wir beim PM-Camp mal andiskutieren …
ich nehme das in den Themenspeicher auf.
Zum Einstieg in die Komplexitätsmessung kommt man an Klaus Mainzer nicht vorbei.
Zur Messung der Komplexität empfiehlt sich das Varietätstheorem von Ashby und die diesbezüglichen Ergänzungen um den Varietätsgrad und die Varietätszahl. Mehr dazu unter folgendem Beitrag http://www.pmaktuell.org/PMAktuell-201102/031-Wissen-Frahm1-GPM.
Des Weiteren gibt es einen guten Beitrag von Gerold Patzak dazu s. http://www.pmaktuell.org/PMAktuell-200905/034-Wissen-Patzak1-GPM
Die Kybernetik liefert ebenfalls einen Ansatz für die Modellbildung, insbesondere das Viable System Model von S. Beer sowie die Managementmodelle aus St. Gallen.
Grüße M.Frahm