Technik
Schreibe einen Kommentar

WWDC22-Keynote im Rückspiegel

Lesedauer: 8 Minuten

Die Keynote zur WWDC22 ist durch und die vielen Eindrücke aus dem knapp zweistündigen Präsentationsfeuerwerk konnten in den vergangenen Tagen schon etwas verarbeitet werden. Wie in den letzten beiden Jahren wurde auch diese WWDC-Keynote als vorab produzierter Film in der schon gewohnten Präzision und Perfektion vorgetragen. Allerdings hat Apple heuer ein hybrides Veranstaltungsformat gewählt und zum ersten Mal seit 2019 wieder Entwickler und Medienvertreter zur WWDC eingeladen. Diesmal jedoch nicht nach San Jose, sondern quasi zu sich nach Hause in den Apple Park. Im Rückspiegel betrachtet hier meine – zugegeben chronologisch etwas durcheinander geratene – Zusammenfassung.

WWDC22-Keynote auf Apple’s YouTube-Kanal

Eigentlich ist die WWDC – Nomen est Omen – für Entwickler gedacht, die Software auf und für Apple’s Plattformen programmieren. Aber es ist ein offenes Geheimnis, dass gerade die Keynote Entwickler wie Nutzer gleichermaßen interessiert. Zumal die Keynote von Apple auch als Marketing-Bühne im sprichwörtlichen Sinne genutzt wird, um neben der Weiterentwicklung der Software und Betriebssysteme auch ab und an neue Geräte sowie die Marschrichtung für die kommenden Monate zu präsentieren. Die Gerüchte im Vorfeld waren daher auch in diesem Jahr wieder vielfältig und die Erwartungen der Apple-Gemeinde hoch.
Bemerkenswert war deshalb jedenfalls, dass zur gerüchteweise kolportierten AR/VR-Brille samt realityOS kein Wort verloren wurde. Ebenso wurden all jene enttäuscht, die mit der Vorstellung eines neuen Mac Pro gerechnet hatten. Das war’s aber auch schon mit den unerfüllten Wünschen, denn der Rest war ein guter Mix aus zumindest teilweise zur Wahrheit gewordenen Prognosen und dann doch der einen oder anderen Überraschung.

Zusammenarbeit, teilen, spielen & zusammenführen

Gesamthaft betrachtet hat Apple in diesem Jahr einen Schwerpunkt auf Zusammenarbeit, Teilen und Spielen gelegt. „Collaboration“, „sharing“ und „gaming“ waren die geflügelten Worte in der Präsentation. Ich frage mich, wie oft ich die geteilten Tabgruppen in Safari tatsächlich nutzen werde. Aber wenn ich mich daran erinnere, wie häufig ich die im letzten Jahr vorgestellte Share-play-Funktion verwendet habe, dann kenne ich die Antwort bereits: nämlich nie. Hingegen spannend finde ich die neue App Freeform, ein digitales Whiteboard, das wie ein optimal in das Apple-Ökosystem integrierter Miro-Ersatz wirkt. Dafür habe ich dann schon eher Verwendung. Genauso wie für das nahtlose Übertragen einer FaceTime-Videokonferenz vom iPhone auf den Mac mit der Handoff-Funktion.

Ein weiteres Hauptaugenmerk lag auf der Zusammenführung der Bedienkonzepte von macOS und iPadOS. Hier führt Apple in den neuen Versionen der Betriebssysteme macOS Ventura und iPadOS 16 den Weg der letzten Jahre konsequent fort, wie beispielsweise am neuen Stage Manager erkennbar ist, sich aber auch an den Neuerungen zu Spotlight, Safari oder Mail manifestiert. Und die neuen Features in der Nachrichten-App, mit denen man zum Beispiel gelesene Nachrichten wieder als ungelesen markieren, oder vor Kurzem bereits gesendete Nachrichten nochmals bearbeiten oder sogar zurückzurufen kann, kommen nicht nur in iOS 16, sondern auch in macOS 13 und iPadOS 16.

Stage Manager

Der Stage Manager wirft aus Mac-User-Sicht allerdings einige Fragen auf: Warum konkurrieren am Mac nun plötzlich das alt gediente Exposé und der neue Stage Manager um das Fenstermanagement? Welchen Sinn macht so eine zusätzliche vertikale Programmfenster-Leiste am linken Bildschrimrand überhaupt? Warum wurde diese Funktionalität nicht gleich in das Dock integriert? Wie gut ich damit in meiner gewohnten Arbeitsweise klar komme und ob ich den Stage Manager viel nutzen werde, muss ich erst noch ausprobieren. 

Stage-Manager-Demo (Video: Apple)

Und was das iPad betrifft, hätte ich mich vor einem oder zwei Jahren über den Stage Manager samt den neuen Multitasking-Möglichkeiten, sowie dem damit verbundenen Support für externe Bildschirme noch tierisch gefreut. In diesem Jahr habe ich das als mittlerweile wieder glücklicher Mac-Benutzer mit einem interessierten Schmunzeln zur Kenntnis genommen. Jedenfalls hat Apple das recht geschickt gelöst und mit dem Stage Manager samt Bildschirmunterstützung die Pro-User am iPad gleichermaßen angesprochen, wie den durchschnittlichen Tablet-User. Es wird sich allerdings noch zeigen müssen, wie sehr das iPad Pro davon profitiert. Denn wie ich in ersten Videos gesehen habe, ist die Handhabung eben im typischen iPad-Stil etwas umständlich, von den zu diesem Zeitpunkt noch vorhandenen Problemen einer frühen Beta-Version mal abgesehen. App-Fenster können am iPad nun zwar im Stage Manager verkleinert und vergrößert werden, aber offensichtlich nur auf vordefinierte Größenverhältnisse.

Continuity camera – die erste Überraschung

Eine echte Überraschung war jedenfalls die neue Kamera-Übergabe mit der integrierten Continuity-Funktion, die auch das seit macOS 12 bekannte Universal Control ermöglicht. Damit macht man das iPhone zur Webcam und nutzt dafür die in den Geräten verbauten, großartigen Kameras. Und das besonders Tolle daran ist, dass das alles komplett ohne Kabel und nur via WLAN funktioniert.

Kamera-Übertragung auf ein MacBook Pro (Foto: Apple)

Mit dem Ultraweitwinkelobjektiv, das die neueren iPhone-Modelle mitbringen, kann man einen so genannten Desk View aktivieren. Damit wird auch der Schreibtisch vor dem Mac aus der Vogelperspektive gezeigt, um zum Beispiel Skizzen in einer Videokonferenz zu präsentieren.
Im Bewusstsein der Diskussionen um die im erst kürzlich auf den Markt gebrachten Studio Display eingebaute 1080p-FaceTime-Kamera und deren angeblich schlechte Bildqualität, bekommt diese neue Kamera-Übergabe-Funktion jedoch einen etwas eigenartigen Geschmack. Allerdings glaube ich nicht, dass Apple aufgrund der großteils negativen Rückmeldungen der Benutzer des Studio Display diese Funktion in den letzten Wochen noch hinein gebastelt hat. Wie dem auch sei, diese neue Funktion eröffnet nun auf recht einfache Weise die Möglichkeiten eines professionelleren Videobildes für alle jene, die keine Kameras von Sony, Fuji Film, Nikon & Co. besitzen.
Die im obigen Pressebild von Apple gezeigte Halterung für das iPhone funktioniert vermutlich über MagSafe, wird von Belkin produziert und soll später im Jahr noch (im Apple Store) zu kaufen sein.
Die Kamera-Übergabe ist – so scheint es zumindest derzeit – eine reine macOS-Funktion und am iPad nicht verfügbar. Zudem läuft sie – wie die anderen Continuity-Funktionen auch – nur auf Macs mit Apples hauseigenen Chips. Und die Kamera-Übergabe macht Apps wie Camo nun komplett überflüssig. Sherlocking nennt man diese Vorgangsweise der Drittanbieterfunktionenintegration im Fachjargon.

Und weil wir gerade beim Sherlocking waren, das hat Apple heuer auch im Sherlock-Ursprung Spotlight fortgesetzt. Und zwar kann man jetzt mittels Spotlight nicht nur suchen, sondern auch Aktionen starten, wie beispielsweise einen Timer, oder einen Kurzbefehl. Diese Möglichkeit boten bisher nur Apps wie Alfred oder Raycast.

Die überarbeitete Spotlight-Suche (Foto: Apple)

Und – man muss ja schon fast sagen – endlich kommt die Wetter-App direkt auf den Mac und natürlich auch auf das iPad. Jeweils in einer für die beiden Gerätetypen optimierten Version. Sogar die Uhren-App schaffte es dieses Jahr auf den Mac. 
Spannend werden zudem die vielen kleinen Anpassungen, Verbesserungen und Änderungen im Detail, die Apple in seinen Apps wie Erinnerungen, Notizen, Musik & Co. eingebaut hat und für deren Erwähnung bei der Keynote keine Zeit blieb. Schon jetzt sind beispielsweise Listen-Vorlagen in Erinnerungen und (Un)Wetter-Benachrichtigungen von der Wetter-App bekannt geworden, sowie die neuen Systemeinstellungen. Und in den nächsten Wochen werden noch viele weitere Feinheiten und Details folgen.

Ein neuer Sperrbildschirm fürs iPhone

iOS bekommt in seiner sechzehnten Version einen personalisierteren Sperrbildschirm. Das beinhaltet neben individuell anpassbaren Schriften für Datum und Uhrzeit und den bereits bekannten Hintergrundbildern nun eben auch Widgets, die ähnlich den Komplikationen auf der Apple Watch in einem bestimmten Bereich am Sperrbildschirm unterhalb der Uhrzeit angeordnet werden können. Der neue Sperrbildschirm wurde zudem mit der Fokus-Funktionalität verheiratet und damit können für jeden Fokus eigene Sperrbildschirme angelegt werden.

Werbevideo von Apple zur Sperrbildschirm-Personalisierung

Auch die Benachrichtigungen am Sperrbildschirm hat Apple verbessert. Die kommen nun von unten auf den Schirm und beinhalten – sofern von der jeweiligen App entsprechend unterstützt – sogenannte Live-Aktivitäten. Damit bleibt man beispielsweise über Sportveranstaltungen, Trainings oder Lieferdienste auf dem Laufenden.

Health & Fitness

Erwähnenswert sind jedenfalls auch die Verbesserungen in der Health App. Denn dort gibt es nun eine Funktion, mit der man Medikamentenlisten erstellen und die erforderlichen Medikationen verwalten, mit Zeitplänen versehen und Erinnerungen dafür einstellen kann. Ein durchaus sehr praktisches Feature, das diverse mitunter dubiose Apps von Drittanbietern für diesen Zweck überflüssig macht.

Auch die Fitness App wird mit iOS 16 für alle iPhone-Benutzer verfügbar gemacht und funktioniert dann auch ohne Apple Watch mit den im iPhone ohnehin schon vorhandenen Sensoren, um damit Bewegungsziele, verbrannte Kalorien, etc. verfolgen zu können.

CarPlay – die zweite Überraschung

Die zweite große Überraschung war CarPlay. Und die Bezeichnung CarPlay ist dafür massiv untertrieben, denn die präsentierte Generation des Automotive-Systems von Apple ist in Wahrheit ein regelrechtes carOS.

Die nächste Generation von CarPlay (Foto: Apple)

Es handelt sich dabei um ein für mehrere Bildschirme im Auto geeignetes System, das die bereits bekannten Funktionen für Entertainment, Telefonie und Navigation zur Verfügung stellt. Darüber hinaus beinhaltet es auch eine tiefe Integration mit der Hardware des Autos selbst. So ist es damit möglich, zum Beispiel die Klimaanlage im Auto zu steuern, oder Fahrzeugdaten wie Geschwindigkeit, Flüssigkeitstemperaturen, Tank- bzw. Batteriefüllstand, etc. auf einem vom Nutzer konfigurierbaren Dashboard zu visualisieren. Mit dieser neuen CarPlay-Generation hat Apple vorgeführt, worauf wir uns in Zukunft in den Auto-Cockpits freuen dürfen.

MacBook Air, M2 & und ein altes Eisen

Neue Hardware gab es in diesem Jahr in der WWDC-Keynote ebenfalls zu bestaunen. Auch wenn es weder der gerüchteweise kolportierte Mac Pro oder Mac mini waren, so haben sich zumindest die voraus orakelten Prognosen zu einem neuen MacBook Air einigermaßen bewahrheitet. Allerdings ist dem neuen MacBook Air der ikonische, extrem schlanke Air-Faktor im Design verloren gegangen. Dennoch ist das Gerät sehr leicht und dünn. Darin werkt der neue M2-SOC aus der hauseigenen Chipwerkstatt, der ebenfalls im Zuge der Keynote vorgestellt wurde. Eine durchaus beeindruckende Weiterentwicklung der ohnehin schon sehr guten M1-Familie. Und Apple hat das auch produkttechnisch verdammt schlau gemacht! Denn der neue M2, der noch in der 5-Nanometer-Technologie gefertigt wird, unterstützt den Arbeitsspeicher bis zu 24 GB und grenzt sich so von den noch jungen M1-Pro, M1-Max und M1-Ultra Prozessoren ab, die mit bis zu 64 bzw. 128 GB deutlich mehr Arbeitsspeicher verwalten können.

Erste Eindrücke vom neuen MacBook Air von MKBHD

Und dann wurde noch das alte 13-Zoll-MacBook Pro neu vorgestellt, in das Apple ganz frech den M2 reinpackt. Ansonsten ist das Gerät unverändert, hat also noch die bereits offiziell zu Grabe getragene Touch Bar und das alte Retina-Display, ja sogar die 720p-Kamera ist ihm erhalten geblieben. Also da muss man schon – frei nach Giovanni Trapattoni – fragen: „Was erlauben Apple!?“.

Datenschutz

In Sachen Datenschutz hatte Apple auch Neuigkeiten für uns dabei. Mit den neuen Betriebssystemen wird auch ein neues Datenschutztool namens Safety Check auf unseren Geräten Einzug halten. Damit soll es für Benutzer übersichtlicher werden, welchen Personen und Apps man Zugriffe auf die eigenen Apple-Dienste und Daten gegeben hat. Im Fall der Fälle können für andere Personen eingerichtete Zugriffsberechtigungen rasch entfernt werden und im Notfall lassen sich andere Geräte von der eigenen iCloud damit abmelden.

Neu sind auch die Passkeys, eindeutige digitale Schlüssel, die langfristig unsere bisherigen Passwörter zur Anmeldung auf Websites oder in Apps ersetzen sollen. Ganz typisch für Apple werden diese Passkeys nur lokal auf den Geräten gespeichert. Sie werden mittels Touch ID oder Face ID biometrische verifiziert und können über den iCloud Schlüsselbund zwischen den Geräten synchronisiert werden.

Fazit

Im Rückspiegel betrachtet war die Keynote zur WWDC22, wie auch in den Jahren zuvor, ein mit Spannung erwartetes und durchaus interessantes Ereignis. In gewohnter Perfektion hat das mittlerweile erfolgsverwöhnte Apple die nächste Generation seiner Betriebssysteme und Chipentwicklung präsentiert und damit die Marschrichtung der nächsten Monate vorgegeben. Alles in allem wieder eine gelungene Vorstellung und nicht nur mit dem hybriden Veranstaltungsformat vermutlich auch zukunftsweisend.

Übrigens können die neuen Apple-Betriebssysteme als Developer-Betas seit Montag heruntergeladen und ausprobiert werden. Die Public Beta soll dann im Juli folgen. Die finalen Versionen von iOS 16, iPadOS 16 und macOS Ventura, sowie watchOS 9 und tvOS 16 werden traditioneller Weise im Herbst erscheinen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.