Technik

Nachhaltige Digitalisierung

Wie passen Nachhaltigkeit und Digitalisierung eigentlich zusammen? Mit einem Blick auf den Ressourcenverbrauch, den die Digitalisierung in allen Bereichen des täglichen Lebens verursacht, könnte man schlussfolgern, dass Digitalisierung niemals nachhaltig sein kann. Schließlich wurden 2019 geschätzte 6.800 TWh als Primärenergie für Digitalisierung verwendet. Das entspricht 1.400 Millionen Tonnen Treibhausgas-Emissionen bzw. 3,8% vom globalen Emissionsausstoß. Und bis 2030 werden bis zu 20% des globalen Elektrizitätsverbrauchs vom Informations- und Kommunikationstechnik-Sektor beansprucht. Doch was zunächst wie ein Widerspruch in sich klingt, bedingt sich bei genauerer Betrachtung gegenseitig.

Ein Beispiel: Die Bewältigung der hohen Anzahl der Herausforderungen für den Klimaschutz und deren Komplexität – auch oder gerade in der Baubranche – ist mithilfe modernster, digitaler Technologien effizienter und effektiver möglich. Die zweite, deutlich weitreichendere und daher weniger oft verwendete Definition des Begriffs Nachhaltigkeit aus dem Brundtland-Bericht von 1987 impliziert die Forderung nach einer gesamtheitlichen Verhaltensänderung dahingehend, dass „die Nutzung von Ressourcen, das Ziel von Investitionen, die Richtung technologischer Entwicklung und institutioneller Wandel miteinander harmonieren und das derzeitige und künftige Potential vergrößern, menschliche Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen„. Eine rücksichtslose Digitalisierung, ohne dabei auf die nachfolgenden Generationen im Sinne einer nachhaltigen, dauerhaften Entwicklung Bedacht zu nehmen, wäre folglich kein Irrtum, sondern tatsächlich ein Fehler.

Ausgangssituation

Aber warum beschäftigt das Thema nachhaltige Digitalisierung auch die Baubranche?
In einem Artikel habe ich unlängst gelesen, dass Österreich die EU-Klimaziele deutlich verfehlt. Im Jahr 2030 wird Österreich mit den derzeitigen Maßnahmen immer noch bei 42 Mio. Tonnen CO₂-äquivalenten Treibhausgasemissionen liegen, anstelle der für die Erreichung der EU-Klimaziele notwendigen 30 Mio. Tonnen. Behält unser Land diesen Weg bei, wird Österreich erst 2050 netto klimaneutral sein – also mit 20-jähriger Verspätung. Es gibt daher einen hohen Bedarf an zusätzlichen, auch kurzfristig wirksamen Maßnahmen.

Mit einem jährlichen CO₂-Ausstoß von knapp 10 Gigatonnen, wie aus dem aktuellen Statusbericht des UNEP hervorgeht und somit einem Anteil von rund 38 Prozent an den globalen CO₂-Emissionen ist die Bau- und Gebäudewirtschaft im Besonderen angehalten, Maßnahmen für den Klimaschutz zu entwickeln und vor allem auch umzusetzen.
Allerdings hat es den Anschein, dass die Baubranche nur sehr langsam auf die Herausforderungen und Anforderungen für eine klimaneutrale Zukunft reagiert. Doch selbst langsame technologische Entwicklungen nehmen mehr Fahrt auf, wenn sie stetig weiter betrieben werden. Das zeigen die technologischen Entwicklungen in der Baubranche während der letzten 30 Jahre. Nicht nur im Bereich der Digitalisierung an sich hat sich seit der Umstellung auf CAD und leistungsfähige Software zur Berechnung und Bemessung von Bauwerken vieles getan. Auch in anderen Bereichen wie beispielsweise in der Entwicklung von Baumaterialien sind nicht zuletzt durch den verstärkten Einsatz von digitalen Methoden durchaus beeindruckende Neu- und Weiterentwicklungen entstanden.

Herausforderungen

Wo also liegen nun die großen Herausforderungen, um die ressourcen- und energieintensive Bau- und Gebäudewirtschaft in Richtung Klimaneutralität voranzubringen?

Die Koalition für digitale ökologische Nachhaltigkeit (CODES) der Vereinten Nationen hat in ihrem Bericht über Accelerating Sustainability Through Digital Transformation (Beschleunigung der Nachhaltigkeit durch digitale Transformation) einige Fallbeispiele und Innovationen sowie digitale Technologien unter anderem auch für die Baubranche zusammengestellt.
Demnach ergeben sich Potentiale zur Reduktion von Treibhausgasemissionen und Wasserverbrauch insbesondere durch intelligente Gebäudesteuerungen über Sensorik und Automatisierungen, dem 3D-Druck von Gebäuden und Bauteilen, computergestützte Produktionsverfahren, sowie digitale Gebäudepässe.
Letztere beinhalten den Einsatz einer Reihe von Technologien zur Erstellung, Sammlung und Pflege digitaler Datensätze für jedes Gebäude. Anstelle eines einzigen Datensatzes verknüpft der digitale Gebäudepass mehrere verschiedene Datensätze über das Gebäude während seines gesamten Lebenszyklus und bietet so volle Transparenz.
Ein Bestandteil des digitalen Gebäudepasses könnte die materielle Zusammensetzung des Bauwerks sein. Diese ursprünglich auf Prof. Helmut Rechberger zurückgehende Idee des materiellen Gebäudepasses beinhaltet das Rohstoffpotential des Bauwerks. Darüber hinaus kann der materielle Gebäudepass selbstverständlich auch als Grundlage für die Ökobilanz verwendet werden.

Jedoch sollte man die Nutzung digitaler Technologien mittel- bis langfristig nicht auf einzelne Bauwerke beschränken. Nehmen wir zum Beispiel den Betrieb von Städten und Gemeinden. Zum einen führt die zunehmende Urbanisierung zu einem Bedarf an Verbesserungen beispielsweise in der Flächennutzung, Wasserversorgung, Abfallentsorgung oder der Verkehrsinfrastruktur. Zum anderen gibt es auch in Sachen Maßnahmen für den Klimaschutz im kommunalen Bereich viel zu tun. Schließlich nehmen Städte weltweit zwar nur etwa drei Prozent der gesamten Landfläche ein, aber auf ihr Konto gehen rund 60 bis 80 Prozent des Energieverbrauchs und circa 75 Prozent der Kohlenstoffemissionen.

Die Transformationen der Städte und Gemeinden über den Smart-City-Ansatz hinaus zu intelligenten, nachhaltigen Städten setzt auch eine digitale Transformation voraus. Unter anderem werden dafür Kombinationen von Internet of Things (IoT), Sensoren, Augmented Reality und Künstliche Intelligenz genutzt, um damit zum Beispiel durch tatsächlich intelligente Verkehrssysteme dazu beizutragen, den Verkehr zu optimieren und Emissionen zu reduzieren. Stets mit dem Ziel, durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien den Energieverbrauch und die Umweltauswirkungen zu reduzieren und gleichzeitig die Lebensqualität, die Effizienz des kommunalen Betriebs, sowie die Klimaresilienz zu steigern.

Grundlage für die Umsetzung von digitalen Gebäudepässen und die Umsetzung einer intelligenten, nachhaltigen Stadt bzw. Gemeinde ist ein digitaler Zwilling. Damit ist die Verschmelzung mehrerer Technologien und Dienste gemeint. Und zwar zum einen auf Bauwerks- bzw. Gebäudeebene und zum anderen auch für ganze Stadtquartiere und Gemeinden. Solche kommunalen digitalen Zwillinge bieten ein immenses Potential für Analysen und Simulationen. Zum Beispiel können damit Planungsszenarien für die Flächennutzung und den Versiegelungsgrad entwickelt werden. Darauf aufbauend wären dann Simulationen für den Hochwasserschutz, oder für Stadt-klimatologische Untersuchungen möglich. Und schlussendlich können mithilfe kommunaler digitaler Zwillinge urbane Rohstofflandkarten zur Unterstützung und Optimierung der Kreislaufwirtschaft und Recycling-Industrie erstellt werden.

Apropos Kreislaufwirtschaft: Mit der Blockchain-Technologie kann die Transparenz von Materialflüssen erhöht und die Rückverfolgbarkeit von Produkten sichergestellt werden, was nicht nur zu einer Verbesserung der Lieferketten und Ressourceneffizienz führt, sondern die Implementierung von Kreislaufwirtschaftskonzepten generell erleichtert.

Digitale Zwillinge werden als mehrdimensionale, virtuelle Bauwerksmodelle mit der Building-Information-Modeling-Methode (kurz: BIM) erstellt. Mit BIM besteht nicht nur die Möglichkeit, die reale Unikatfertigung von Bauwerken durch Simulationen an vorab erstellten, virtuellen Prototypen zu vereinfachen und zu optimieren. BIM dient darüber hinaus als Technologie-Hub für die Digitalisierung der Baubranche. Am virtuellen Bauwerksmodell bzw. dem digitalen Zwilling docken nämlich andere Technologien wie Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR), smarte Gebäudetechnik mit Internet of Things (IoT), Automatisierungssysteme und Sensorik, Robotik und Künstliche Intelligenz an und bieten dadurch Möglichkeiten zur Reduktion der Umweltauswirkungen eines Bauwerks und somit seines ökologischen Fußabdrucks, die über bloße Energieeffizienz weit hinausgehen. Nicht zuletzt ließe sich über digitale Zwillinge auch der digitale Gebäudepass realisieren.

Fazit & Ausblick

Es gibt neben den angeführten Beispielen noch eine bunte Vielzahl an weiteren Anwendungsmöglichkeiten für die Digitalisierung im Bauwesen. Insgesamt betrachtet bietet die Digitalisierung im Bauwesen enorme Chancen, um Effizienz, Effektivität und Klimaschutz in Einklang zu bringen. Nicht zuletzt hat die Baubranche als Konjunktur-Lokomotive dadurch die Möglichkeit, ihre Rolle in einer nachhaltigen Entwicklung hin zu einer klimaneutralen Bau- und Gebäudewirtschaft wahrzunehmen und so den dringend notwendigen Beitrag zur Bewältigung der globalen Umweltprobleme zu leisten.

Die Grundlagen für eine umfassende Digitalisierung der Baubranche sind bereits geschaffen. Es gibt ausreichende Informations- und Kommunikationstechnik-Systeme, sowie Hard- bzw. Software und auch genügend Anwendungsfälle.
Einiges ist noch in der praxistauglichen Umsetzung zu erproben und es müssen geeignete Projektabwicklungsmodelle geschaffen werden – also Methoden und Prozesse für die Planung und Ausführung von Bauwerken, sowie deren Betrieb.

Ein weiterer Fokus der Digitalisierung in der Baubranche ist die Erforschung von neuen, nachhaltigen, klimaschonenden, sowie langlebigen und ressourcenarmen Materialien und Bauweisen. So charmant sich der Holzbau dafür anbietet, alles wird jedoch auch in naher Zukunft nicht mit Holz gebaut werden können. Das wäre zum einen nämlich wenig nachhaltig und zum anderen benötigen wir unsere Wälder nicht nur als Rohstofflieferanten, sondern noch viel dringender als CO₂-Senken.

Und nicht zuletzt leistet auch die Ausbildung im Zuge der Digitalisierung einen wesentlichen Beitrag. Schon seit ein paar Jahren sind digitale Techniken und Methoden wie beispielsweise BIM fester Bestandteil in den Curricula der Hochschulen. Offene Standards wie IFC spielen dabei eine wesentliche Rolle und sind immens wichtig für zukünftige Weiterentwicklungen und den interdisziplinären Datenaustausch. Die Bevorzugung von offenen Standards gegenüber proprietären, oftmals ausgrenzenden Formaten ist ein Grundpfeiler einer nachhaltigen Digitalisierung. Das gilt auch für den Bereich der Künstlichen Intelligenz, der keinesfalls einigen wenigen Tech-Unternehmen und Branchenriesen überlassen werden sollte.

Die nachhaltige Digitalisierung der Baubranche ist schlussendlich weder Utopie noch Dystopie, sondern als wirtschaftliche und gesellschaftliche Notwendigkeit zu verstehen. Dabei muss im Sinne der eingangs erwähnten, zweiten Definition des Begriffs Nachhaltigkeit aus dem Brundtland-Bericht jedenfalls bedacht werden, dass im Zuge der Digitalisierung die Bedürfnisse heutiger und künftiger Generationen im Hinblick auf ökonomische, soziale, ökologische und kulturelle Aspekte erfüllt werden. Nur dann ist die Digitalisierung auch tatsächlich nachhaltig.