Produktivität
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Buchtipp: „4000 Wochen“ von Oliver Burkeman

Viertausend Wochen entsprechen in etwa der durchschnittlichen menschlichen Lebensspanne. Und viertausend Wochen sind nicht nur eine markante und einprägsame Zahl, sondern zugleich auch der Titel des Buches von Oliver Burkeman über das Zeitmanagement für Sterbliche, wie der Untertitel des englischen Originals in wörtlicher Übersetzung lauten würde. Und es ist tatsächlich eines der wichtigsten Bücher über Zeitmanagement, oder besser gesagt über die Grenzen des Zeitmanagements, das bisher geschrieben wurde.

Okay, 4000 Wochen entsprechen genau 76,92 Jahren, wenn man davon ausgeht, dass ein Jahr 52 Wochen hat. Das ist zwar etwas mehr, als die weltweit durchschnittliche Lebenserwartung eines Menschen, aber auch etwas weniger, als jene in Mitteleuropa. Unabhängig davon meint der britische Autor und Journalist Oliver Burkeman, dass die durchschnittliche menschliche Lebensspanne absurd, erschreckend, beleidigend kurz ist. Aber das ist seiner Meinung nach kein Grund für panische Vorsätze oder Verzweiflung. Es ist vielmehr ein Grund für Erleichterung. Ein Grund, die Augen zu öffnen und kritisch zu hinterfragen, ob man die falschen Dinge geregelt kriegt, weil man die Zeit bisher damit verschwendet hat, der optimierte, unendlich fähige, emotional unangreifbare, vollkommen autarke Mensch zu sein, der man offiziell zu sein hat. Das darf man – wenn es nach Burkeman geht – getrost aufgeben, weil das schon immer unmöglich war und stattdessen anfangen, an dem zu arbeiten, was wundervollerweise eben doch möglich ist.

Manchmal ist es einfach schwierig, über ein Buch zu schreiben, ohne sich in den eigentlichen Inhalten zu verlieren und stattdessen – wie in diesem Fall – einen Aufsatz über die Grenzen des Zeitmanagements zu verfassen. Denn Burkeman geht gleich zu Beginn seines Bestsellers mit dem Zeitmanagement und der Produktivität, die er als ihren hippen Cousin bezeichnet, hart ins Gericht. Das sei es nämlich nicht, was im Leben zählt. Vielmehr ist das seiner Meinung nach nur eine deprimierend kleingeistige Angelegenheit, die sich darauf konzentriert, so viele Arbeitsaufgaben wie möglich zu bewältigen, die perfekte Morgenroutine zu entwickeln, oder darauf, sonntags in einem einzigen großen Schwung sämtliche Mahlzeiten für die Woche zu kochen. Und Burkeman holt noch weiter aus, denn das Problem mit dem Zeitmanagement und der Produktivität liegt seiner Auffassung nach zum Teil in der wenig hilfreichen Annahme, dass man jeden Morgen mit einer Art »Produktivitätsschuld« beginnt, die man durch harte Arbeit abtragen muss, in der Hoffnung, dass man am Abend einen Nullsaldo erreicht.

Er beschreibt eindrucksvoll unser gestörtes Verhältnis zur Zeit, zitiert dabei große Denker wie Seneca, Nietzsche und Hägglund. Unsere Besessenheit, aus unserer Zeit den größten Wert für die Zukunft herauszuschlagen, beklagt er zu Recht, macht uns blind für die Realität, dass der Augenblick der Wahrheit in Wirklichkeit immer jetzt ist – dass das Leben nichts ist als eine Abfolge gegenwärtiger Momente, die auf den Tod hinauslaufen, und dass man wahrscheinlich niemals an den Punkt gelangen wird, an dem man das Gefühl hat, die Dinge komplett im Griff zu haben. Eine Feststellung, die es in sich hat, die einen beim Lesen wachrüttelt und nicht mehr loslässt. Alles, um schließlich doch auf den Punkt zu kommen, dass Planung ein unverzichtbares Instrument ist, um das eigene Leben sinnvoll zu gestalten und seine Verantwortung gegenüber anderen Menschen wahrzunehmen und auch gegenüber sich selbst.

Der ganze Inhalt des Buches lässt sich auf die zentrale Frage reduzieren, was sich verändern müsste, wenn man die kurze Zeit, die man hat, so verbringen will, dass sie wirklich zählt? Konkrete Antworten bleibt Burkeman natürlich schuldig. Er kann sie auch gar nicht liefern, denn die Antworten darauf sind so individueller Natur, dass sie sich nur jeder selbst geben kann. Aber er verrät fünf Fragen, die beim Finden der Antworten behilflich sind und zum Nachdenken anregen. Dabei geht es um die eigene Bequemlichkeit, um die Maßstäbe, die man an sich selbst anlegt, um Perfektionismus und Kontrolle, sowie um die Akzeptanz des eigenen Selbst und um den Stellenwert der Bedeutung der eigenen Taten.

Unterwegs zu den Antworten auf diese Fragen erklärt Burkeman unterstützend, wie wichtig es ist, den Geduldmuskel zu trainieren. Er geht auf die Freiheit im zeitlichen Kontext ein und schreibt, dass falls einem das eigene Leben wie am Fließband vorkommt, man erst dann richtig frei ist, wenn man die Hoffnung über Bord geworfen hat, dass es das noch nicht gewesen sein kann, dass alles sich irgendwie von selbst lösen, oder zumindest nicht noch schlimmer wird. Denn Freiheit bedeutet nicht nur Autonomie und Souveränität im Umgang mit der zur Verfügung stehenden Zeit, sondern auch Eigenverantwortung und Eigeninitiative.

Oliver Burkeman war mit Sicherheit nicht der Erste, der sich intensiv mit Sinn und Unsinn des Zeitmanagements und der Produktivität, sowie deren Ursprünge in der stoischen Lehre von Seneca, Epiktet und Marc Aurel beschäftigt hat. Unter anderen hat sich auch der österreichische Mathematiker und Philosoph Kurt Gödel, der in den 1940er Jahren in die USA emigriert ist und dort an der Universität in Princeton lehrte, damit auseinandergesetzt. Gödel hat die stoische Lehre in seiner Zeiteinteilung als Grundlage für eine ethische Lebensführung umgesetzt. Seine Notizen sind in mehreren Bänden veröffentlicht worden. Besonders interessant ist davon der zweite Band, in dem Gödel über die Zeiteinteilung schreibt. Diese Zeiteinteilung ist für Gödel ein Versuch, dem Glück nahezukommen, also dem Sinn des Lebens. Von der Zeiteinteilung verspricht er sich eine Basis für die Selbstreflexion, die seinem Leben als eine Art therapeutischem Effekt Stabilität, Ordnung und Sicherheit, sowie innere Ruhe und Gelassenheit für die Arbeit und private Angelegenheiten geben soll.

Aus ähnlichen Gründen wie Gödel sie angeführt hat, kann am Ende seines Buches auch Burkeman der Zeiteinteilung im Sinne eines Tagesplans mit festen Zeitgrenzen für die Arbeit etwas abgewinnen. Weil man dadurch nämlich zusätzlich motiviert ist, die produktive Arbeit innerhalb dieser selbst gesteckten Zeitgrenzen zu erledigen. Dennoch führt Burkeman in seinem Buch schonungslos vor Augen, dass man durch bloßes Streben nach Effizienz auch nicht mehr aus einem Menschenleben herausholen kann. Es gehört mehr dazu, um die eigenen 4000 Wochen mit Sinn und Leben zu füllen. Bewusst wird das, wenn man sich die eigene Sterblichkeit vor Augen führt. Memento Mori titelt nicht nur das aktuelle, im März 2023 erschienene Album von Depeche Mode, sondern seit der Lektüre dieses Buches auch eine Rubrik in meiner täglichen Notiz. Dort sehe ich, dass ich bereits 63 Prozent meiner 4000 Wochen hinter mir habe. Es gilt also, die verbleibende Zeit anstelle von bloßer Effizienz mit Sinn und Leben zu füllen und mir dabei die Freiheit zu nehmen, mich für jene Vorhaben, Projekte, Aufgaben und Menschen zu entscheiden, die mir wirklich wichtig sind.

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